Die guten alten Geschichten

Das „Theater Hans Wurst Nachfahren“ feiert 25-jähriges Jubiläum. Die Puppenspielertruppe hat sich zwar nach einer Narren- und Anarchistenfigur benannt. Ein politisches Projekt jedoch war sie nie

Seit dem Umzug an den Winterfeldplatz ist die einst freie Truppe Teil des Establishments. Jedenfalls sehen das manche in der Puppenspielerszene so

von Esther Slevogt

Es war eine turbulente Woche, im Theater Hans Wurst Nachfahren am Winterfeldplatz. Gastspiele, Galavorstellungen und jede Menge Party bestimmten den Spielplan. 25 Jahre sind schließlich kein Pappenstil. Denn so lange gibt es die Puppenspielertruppe schon, die eigentlich aus keiner Berliner Kindheit mehr wegzudenken ist. Hier werden sie nämlich noch erzählt, die guten alten Geschichten, an die man sich andernorts nicht mehr ohne Weiteres heranwagt: weil man modern und cool sein will, und nicht merkt, dass diese Coolness oft bloß eine gut kaschierte markt- und markenkonforme Geschmacksdiktatur ist.

Dass die alten Geschichten nicht notwendigerweise alt aussehen müssen, beweisen Hans-Wurst-Klassiker wie „Der kleine Muck“, „Schneewittchen“ oder „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ aber auch. Ein sanfter, zeitkritischer Unterton der Ironie untermalt viele Aufführungen und füllt sie mit Gegenwart. Bestens zu studieren auch im Renner des Hauses, James Krüss’ Musical und Wagner-Persiflage „Der Sängerkrieg der Heidehasen“, der wieder auf dem Spielplan steht. Dort sieht man gelegentlich Hasen über die Szene hoppeln, die Lokalgrößen der Politik verdächtig ähnlich sehen.

Gegründet 1981, war das Theater Hans-Wurst-Nachfahren ein Spätausläufer der antiinstitutionellen Theaterbewegung der Sechziger- und Siebzigerjahre: Als man volkstümliche Kunst- und Kulturformen als Gegenbewegung zum Stadttheater wiederentdeckte. Damals fanden sich zusammen: die 1952 geborene Theaterwissenschaftlerin und Schauspielerin Barbara Kilian und Siegfried Heinzmann, Jahrgang 1939. Der ist gelernter Schneider, autodidaktischer Maler, Bildhauer und Puppenbauer. Heinzmann war in der legendären Frühphase der Schaubühne am Halleschen Ufer von 1971 bis 1975 als Gewandmeister angestellt. Danach hat er eine Zeit lang Bühnenbilder für das Grips-Theater gemacht.

Hans Wurst, der Narr und Anarchist aus dem Stegreiftheater mittelalterlicher Jahrmärkte, wurde zum Wappentier. Lange Jahre spielte die Truppe im Kreuzberger Mehringhof, Hochburg und ideologische Zentrale der legendären Westberliner Alternativkultur. Aber in den politisierten frühen Achtzigern wurden die Hans-Wurst-Nachfahren mit ihrem Puppentheater für Kinder dort nicht von allen ganz ernst genommen, erinnert sich Siegfried Heinzmann heute. „Wir waren eben kein Kollektiv, kein politisches Projekt.“

Also machte man sich auf die Suche nach einem neuen Spielort und stieß auf eine baufällige Tischlerei am Winterfeldplatz, die der aktuelle Bebauungsplan eigentlich zum Abriss vorgesehen hatte. Es war die Zeit des Berliner Häuserkampfs. Lange tobte im Viertel zwischen Potsdamer-, Bülowstraße und Winterfeldplatz ein erbitterter Krieg um besetzte Gründerzeitbauten, die sukzessive geräumt, abgerissen und durch gesichtslose Neubauten ersetzt wurden, die inzwischen längst älter aussehen als der renovierte, gelb gestrichene Gewerbebau aus dem 19. Jahrhundert, in dem nun schon seit fast dreizehn Jahren das Puppentheater untergebracht ist.

Denn der Häuserkampf bewirkte irgendwann ein Umdenken. „Behutsame Stadterneuerung statt Kahlschlagsanierung“, lautete plötzlich die politische Parole und der Architekt Hinrich Baller kam ins Spiel. Ballers Plan kippte die Randbebauung der rechten Platzhälfte und jetzt wurde ein Nutzer für das marode Tischlerei-Gebäude gesucht. „Der Bezirk wollte ein Gewerbe“, sagt Heinzmann und es hat ihn viel Zähigkeit gekostet, der Politik schließlich sein Theater als Gewerbe schmackhaft zu machen. Mit dem Umbau begann der Frieden im Häuserkrieg. So gesehen ist das Theater nicht bloß Teil der Schöneberger Kiezkultur, sondern ein veritables Stück Berliner Stadtgeschichte – eine Geschichte übrigens, die man auch in einem schönen Buch noch einmal nachlesen kann, das zum Jubiläum im Alexander-Verlag erschienen ist.

Seit dem Umzug nach Schöneberg ist die einst freie Truppe Teil des Establishments. Jedenfalls sehen das manche in der Puppenspielerszene so. Die Miete für das schöne Haus ist durch einen eigenen Haushaltstitel abgedeckt und bei der Vergabe der Fördergelder steht das Geld für Hans-Wurst-Nachfahren nie ernsthaft zur Disposition. Das schafft eine Menge Neider, denn das Berliner Fördersystem hat aus freundlichen Theatermachern der freien Szene eine Horde von Hyänen gemacht, die um die wenigen Gelder zum Teil erbittert kämpfen. Heinzmann selbst hat für das Ressentiment kein Verständnis und sieht die Situation seines Theaters längst nicht so entspannt: „Wir machen hier seit Jahren Theater, und zwar in handwerklich und künstlerisch konstanter Qualität. Trotzdem müssen wir für unser Geld jedes Jahr neu vorreiten.“

„Es gibt Gruppen, die haben kein Verständnis dafür, dass eine vergleichsweise konservative Puppenspielergruppe wie Hans-Wurst-Nachfahren meist problemlos durchgewinkt wird“, sagt die Theaterkritikerin Regine Bruckmann, die viele Jahre im Förderbeirat gesessen hat. Trotzdem findet sie die Förderung berechtigt. Denn die Kinder brauchen die guten alten Geschichten, und das Theater Hans-Wurst-Nachfahren erzählt sie ihnen immer wieder neu.