Weizenmehl mit Folsäure

Wissenschaftler fordern eine gesetzlich vorgeschriebene Anreicherung von Folsäure in Lebensmitteln wie in den USA oder Chile. Damit könnten Gesundheitsschäden bei Neugeborenen verhindert werden. Doch das Grundgesetz steht dem entgegen

Die Versorgung mit Folsäure ist in vielen Ländern unzureichend

VON KATHRIN BURGER

Folsäure ist das Lieblingskind der Ernährungswissenschaftler. Es spielt bei zahlreichen Stoffwechselprozessen, etwa bei der Zellteilung, eine Schlüsselrolle. Aus Studien weiß man, dass eine gute Versorgung mit Folsäure vor Herzinfarkt sowie Darm- und Brustkrebs schützen kann – zumindest bei Menschen mit Besonderheiten im genetischen Code. Nicht zuletzt verhindert Folsäure, von Schwangeren eingenommen, nachweislich die Bildung von Neuralrohrdefekten und Herzfehlern beim Kind.

Deshalb wird Schwangeren und denen, die es werden wollen, angeraten, täglich 400 Mikrogramm Folsäure in Pillenform zu schlucken. Würden das alle Betroffenen tun, könnten rund 800 Kinder, die jährlich mit defektem Zentralnervensystem (ZNS) auf die Welt kommen, verschont bleiben. 500 Schwangerschaftsabbrüche, die nach der Diagnose Neuralrohrdefekt vorgenommen werden, könnten ebenso der Vergangenheit angehören.

Doch die Versorgung von Schwangeren mit Folsäure ist in vielen Ländern unzureichend, monierte Monika Eichholzer, Sozialmedizinerin an der Uni Zürich, kürzlich in der Fachzeitschrift The Lancet. Obwohl viele schwangere Frauen über Folsäure informiert seien, nähmen beispielsweise in Irland nur 23 Prozent und in Spanien sogar nur sieben Prozent der Frauen Vitamintabletten während der Schwangerschaft ein. Auch hierzulande schluckt nicht einmal jede zehnte Schwangere Folsäure rechtzeitig, das heißt vier Wochen vor der Empfängnis. Das hat Folgen: Die Zahl der Kinder, die mit Neuralrohrdefekten auf die Welt kommen, ist seit Jahren gleich bleibend. In der Gesamtbevölkerung mangelt es fast 90 Prozent an dem Vitamin.

Folsäure kommt zwar in vielen Lebensmitteln, etwa in Grüngemüse, Orangen, Tomaten, Vollkornprodukten und Bier, vor. Industrielle Verfahren, lange Lagerung oder Garzeiten zerstören es jedoch schnell. Daher wird nun wieder diskutiert, ob eine Anreicherung in Mehl und Salz, wie es USA, Kanada und Chile vormachen, sinnvoll ist. „Gerade weil man damit auch jüngere Frauen, Frauen mit niedrigerem Bildungsniveau und Frauen, die ungeplant schwanger werden, erreichen könnte“, so Eichholzer. Seit in den USA Getreideprodukte mit Folsäure angereichert werden müssen, sind 30 Prozent weniger ZNS-Defekte bei Kindern gezählt worden.

Doch die Anreicherung findet nicht nur Fürsprecher: Das B-Vitamin könne beispielsweise einen Vitamin-B12-Mangel maskieren. Bleibt dieser Mangel aber unbehandelt, folgen schwere Nervenschädigungen. Klaus Pietrzik, Ernährungsphysiologe an der Universität Bonn, gibt jedoch zu bedenken: „Dies tritt nur auf, wenn, wie in den 50er-Jahren üblich, extrem hohe Dosen mit mehr als fünf Milligramm an Folsäure verabreicht werden.“ Eine Anreicherung würde den Menschen jedoch nur mit etwa 100 bis 200 Mikrogramm Folsäure täglich zusätzlich versorgen.

Weiter berichteten Wissenschaftler der University of Bristol, dass Frauen, die in den 1960er-Jahren während der Schwangerschaft Folsäure einnahmen, häufiger an Brustkrebs erkrankten als die Kontrollgruppe. Aus Tierversuchen weiß man, dass Tumore in frühen Stadien eine gute Vitaminversorgung brauchen, um wachsen zu können. Umgekehrt weiß man aber auch, dass ausreichend Folsäure Zellen davor schützen, sich unkontrolliert zu vermehren. Wovon es letztendlich abhängt, ob Folsäure schützt oder als Katalysator dient, ist unklar. In den USA gab es jedoch keinen Anstieg der Krebsraten seit der Einführung der Folsäure-Anreicherung.

Ein weiteres Problem ist, dass Folsäure die so genannten Multi-Drug-Resistance-Transporter beeinflusst. Diese sind dafür verantwortlich, dass beispielsweise Chemotherapien nicht bei allen Patienten gleich gut anschlagen, weil die Zellen die Arzneien als Gifte ansehen und einfach wieder ausspülen.

Derzeit gilt jedoch eine flächendeckende Anreicherung als ungefährlich. Diverse Fachgesellschaften haben die maximale Dosis bei einem Milligramm künstlicher Folsäure angesetzt: eine Grenze, die praktisch nicht überschritten werden kann.

In Deutschland liegt eine Empfehlung, Grundnahrungsmittel mit Folsäure anzureichern, vom Bundesinstitut für Risikoforschung seit einem Jahr im Verbraucherministerium. Doch es hakt am Grundgesetz. Genauer an Paragraf 2, der den Menschen individuelle Entfaltungsmöglichkeiten und körperliche Unversehrtheit garantiert. „Dieses Recht ist nicht mehr gewährleistet, wenn es kein Mehl ohne Folsäure zu kaufen gibt“, so Pietrzik. Ein entsprechendes Gesetz wird es also aller Voraussicht nach so schnell nicht geben.

Derweil dürfen Lebensmittelhersteller aber freiwillig Folsäure zusetzen. So gibt es etwa Salz mit Folsäure schon heute zu kaufen. Ein Produkt, zu dem sogar Verbraucherschützer raten. Solche vereinzelten Initiativen sind den Wissenschaftlern jedoch noch nicht genug. Mehr Hoffnung setzt man in das europäische Projekt „FolateFuncHealth“: Hierbei wird derzeit erforscht, wie man Folsäure-Gehalte in Säften, Mehl, Sauerkraut oder Bier bereits in der Produktion steigern kann. Der Vorteil: Die Gefahr einer Überdosierung ist ausgeschlossen, weil Folsäure in seiner natürlichen Form vorkommt, trotzdem könnten auch Risikogruppen erreicht werden.