ARNO FRANK über GESCHÖPFE
: In der finanziellen Sackgasse

Wie es einmal sehr schlecht aussah auf meinem Konto – und mir die WM aus der Patsche half

Natürlich hätte ich es ahnen können. Seit Monaten schon kommen „die Einschläge immer näher“, wie man ja neuerdings wieder so gerne sagt.

Es begann ganz unauffällig damit, dass mein Telefon eines Tages keinen Ton mehr von sich gab. Kann passieren, dachte ich. Kaum aber hatte ich mir ein neues Telefon angeschafft, gab meine Waschmaschine mit einem Seufzer ihren Geist auf. Es war wohl ihre Revanche dafür, dass ich sie nie entkalkt hatte. Ich bestellte mir eine funkelnagelneue Maschine, Modell „Kanzleramt“, da schwächelte jäh mein Fernseher, wie zum Hohn, und zeigte fortan scharlachrote Fehlfarben genau an der Stelle des Bildschirms, wo bei den „heute“-Nachrichten immer Klaus Cleber steht. Oder war’s Claus Kleber? Egal, ich tippte jedenfalls auf zu hohen Blutdruck beim ZDF.

Irgendwie schaffte ich es sogar, diesen Selbstbetrug so lange vor mir selbst geheim zu halten, bis in der „Sportschau“ nur noch drei Mannschaften auf dem Rasen zu sehen waren – die Weißen, die Blauen und die Scharlachroten. Klar, die Anschaffung eines erbsündhaft teuren H4N1-kompatiblen Flachprotoplasmafernsehers wäre jetzt meine erste Bürgerpflicht gewesen. Nach einem Blick auf mein Konto entschied ich allerdings, mich dieser Pflicht zu entziehen und mein letztes Geld lieber in eine Motorradreise an die französische Atlantikküste zu investieren, um dort, weitab von allem, einen Monat lang unter der WM-Welle einfach durchzutauchen, yeah!

Natürlich hätte ich es ahnen können. Spätestens dann, als mich auf meinem schönen neuen Telefon meine Werkstatt anrief: Ohne die nötigen Reparaturen würde ich mit meinem Moped wohl schneller stehen bleiben als die deutschen Invasionstruppen im Frühjahr 1914.

Prekär genug, klar. Doch dann erwischte mich der Volltreffer. Es fällt schwer, darüber zu sprechen. Weil doch Zähne so wichtig sind und man gut drauf aufpassen sollte. Nein, ausgefallen ist er noch nicht, Gott behüte, aber teilweise zerbrochen, warum auch immer. In der oberen Reihe rechts jedenfalls klaffte eines Morgens eines Lücke. Groß ist sie nicht, aber deutlich sichtbar, vor allem dann, wenn ich breit und gehässig lache, was ich neuerdings vermeide. Das fällt mir nicht schwer, denn mit Zahnlücke bin ich sozial stigmatisiert und habe wenig zu kichern.

Was mir hingegen schwer fällt, das ist der Gang zum Zahnarzt. Dabei ist es nicht so, dass ich mich vor dem Schmerz fürchten würde, oh nein. Ich habe vielmehr eine panische, fast viehische Angst davor, seit ich mir vor ein paar Jahren „mal eben“ die Weisheitszähne ziehen ließ. Drei Spritzen zwecks örtlicher Betäubung hatte mir die Kieferchirurgin ins Zahnfleisch gejagt, ohne Wirkung. Ich weiß noch, wie sie die Geduld verlor und meinte, ich solle mich „nicht so anstellen“, denn ich stellte mich erbärmlich an. Ich weiß noch, wie ich brüllte und blutete, und manchmal höre ich heute noch das feuchte Röcheln des Saugröhrchens und sehe den verächtlichen Blick, mit dem die hübsche Zahnarzthelferin mir würdelosem Wurm den Mundraum aussaugte. Nie wieder, schwor ich mir damals, nie wieder.

Aber es nutzte ja alles nichts. Wenn ich nicht eines Tages Stummel wie Shane McGowan von den Pogues (der Alkohol!), Ruinen wie John Frusciante von den Red Hot Chili Peppers (das Heroin!) oder schwarze Stümpfe wie Oscar Wilde (die Syphilis, das Quecksilber!) haben wollte, musste ich handeln und zum Zahnarzt gehen. Ein Russe, bei mir in der Straße. Tat kaum weh.

Allerdings habe ich keine Ahnung, wovon ich nun die Krone bezahlen soll. Ich bin am Ende, unverschuldet verschuldet und ins gesellschaftliche Abseits abgerutscht. Tja, so schnell kann’s gehen, unversehens.

PS: Sorry noch mal, dass ich Sie mit meinen finanziellen Problemen behelligt habe! Aber jetzt ist alles gut, weil ich meine Wohnung während der WM vermieten kann! An vier fußballbegeisterte, stinkreiche Russen, die mir mein Zahnarzt vermittelt hat. Die zahlen mir alles, den Urlaub, die Zähne … wie? Ja, so weit ist es schon gekommen.

Bohrende Fragen? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über CHARTS