Achse der Nervösen

Die EU könnte eine entscheidende Rolle bei der Lösung des Atomkonflikts mit Iran spielen. Doch dazu müsste sie sich bald von der Hegemonialpolitik der USA distanzieren

Sanktionen und Krieg stabilisieren das iranische Regime und spalten die Zivilgesellschaft

Unter den Hauptbeteiligten am iranischen Atomkonflikt haben die USA die klarste Position. Seitdem Präsident Bush den Iran mit der Bezeichnung „Schurkenstaat“ tituliert und neben Irak und Nordkorea in die Achse des Bösen eingereiht hat, steht fest: Washington plant den Sturz des Gottesstaates. Schließlich ist den USA sehr daran gelegen, einen Einzug Irans in den Club der Atommächte zu verhindern.

Aber das ist nicht der Hauptgrund für den harten Kurs der USA. Sonst würden sie auf die vorliegenden Kompromissvorschläge eingehen, Iran die nötigen Sicherheitsgarantien anbieten oder direkt mit dem Iran verhandeln. Washingtons Ziel ist die Kontrolle über die gesamte Region, in der die reichsten Öl- und Gasquellen der Welt liegen. Dieses Ziel lässt sich mit der Existenz der islamistischen Theokraten im Iran, die selbst Großmachtambitionen haben, nicht in Einklang bringen. Daher wollen die USA in Iran einen Regimewechsel – zur Not auch durch eine risikoreiche Militärintervention oder gar den Einsatz von Nuklearwaffen.

So eindeutig die Position Washingtons ist, so unschlüssig ist die Rolle Moskaus und Pekings. Russland gehört zu den wichtigsten Handelspartnern des Iran. Der zivile Warenaustausch betrug im Jahr 2005 etwas mehr als 2 Milliarden Dollar. Russland liefert dem Iran auch Waffen und militärische Ausrüstung, Kampfflugzeuge und Raketen. Schließlich baut es den ersten Atomreaktor in der südiranischen Stadt Buschihr. Weitere sechs Reaktoren werden in den nächsten zehn Jahren folgen. Zu diesem Zweck halten sich seit Jahren mehrere tausend russische Techniker und Wissenschaftler im Iran auf.

Sollte der Vermittlungsvorschlag Russlands im iranischen Atomkonflikt Erfolg haben, wonach dem Iran gestattet werden soll, auf seinem Territorium Uran zu Forschungszwecken auf niedriger Ebene anzureichern und die industrielle Anreicherung in Russland vorzunehmen, würde dies Moskau nicht nur erhebliche ökonomische Vorteile bringen, sondern auch seinen Einfluss in der Region enorm stärken – und einem seiner alten Träume näher kommen: Zugang zum Persischen Golf zu erhalten.

Zudem würde die Rolle Russlands in der arabisch-islamischen Welt und insgesamt auf internationalem Parkett eine beachtliche Aufwertung erhalten und den angestrebten Status einer Supermacht um ein ganzes Stück näher kommen. Eine enge Beziehung zum Iran kann auch auf mögliche Konflikte mit der stark wachsenden muslimischen Bevölkerung in Russland vorbeugend wirken. Im Bezug auf den Tschetschenien-Konflikt etwa hat Teheran eine neutrale Position eingenommen und den Konflikt als innere Angelegenheit Russlands bezeichnet.

Chinas Verhältnis zum Iran ähnelt dem Russlands. Vierzehn Prozent des Chinesischen Ölimports kommt aus dem Iran. Peking und Teheran verhandeln über einen „Jahrhundertvertrag“ zur Lieferung von Erdöl und Erdgas im Wert von 70 Milliarden Dollar. Auch China gehört zu den größten Handelspartnern und Waffenlieferanten Irans.

Aber beiden Staaten geht es nicht allein um bilaterale Beziehung zum Iran. Seit Jahren betrachten sie die zunehmende Einflussnahme der USA im Nahen und Mittleren Osten mit Argwohn. Inzwischen sind die USA in nahezu allen Staaten dieser Region militärisch präsent: im Irak und Afghanistan als Besatzungsmacht, in der Türkei als Mitglied der Nato, deren Mitgliedschaft auch Aserbaidschan und Georgien anstreben. Auch in einigen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken unterhalten die USA Militärstützpunkte. Zudem will Washington angeblich eine 120.000 Mann starke „Caspian Guard“ aufstellen, um die Öl-Pipeline Baku–Ceyan zu überwachen sowie Waffen- und Drogenschmuggel besser zu bekämpfen. Pakistan ist praktisch ein Satellitenstaat der USA. In Kuwait, Bahrain und Katar sind US-Streitkräfte stationiert, und die 5. US-Flotte kontrolliert den gesamten Persischen Golf.

Russland und China wollen dieser globalen Ballung von Macht Einhalt gebieten. Die Schanghai Organisation für Zusammenarbeit (SCO), ein 2001 gegründetes Regionalbündnis, soll als Gegengewicht der Einflussnahme der USA entgegengesetzt werden. Dem Bündnis gehören neben China und Russland Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisien und Usbekistan an. Auf russischen Vorschlag wurde Iran als Beobachter in die SCO aufgenommen und soll demnächst die Vollmitgliedschaft erhalten. Iran kann als Brückenland zwischen dem Nahen und Mittleren Osten sowie als Regionalmacht für das Bündnis eine wichtige Rolle spielen.

Aber Russland und China stecken in der Zwickmühle. Sollte es nun im Sicherheitsrat hart auf hart kommen, stünden sie vor der Alternative, mit einem Veto gegen Sanktionen eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Beziehungen zu den USA und der EU zu riskieren. Entweder also sie setzen das über Jahre hinweg aufgebaute Vertrauensverhältnis zum Westen aufs Spiel oder beschließen gemeinsam mit der EU und den USA Sanktionen gegen Iran und geben damit all ihre ökonomischen und strategischen Vorteile aus der Hand. Sollte es keinen Ausweg aus diesem Dilemma geben – etwa die Zustimmung Irans zum russischen Vorschlag –, würden sich vermutlich beide Staaten wohl zähneknirschend für die USA und EU entscheiden.

Ginge es im Sicherheitsrat hart auf hart, würden Russland und China mit den USA stimmen

Rätselhaft bleibt beim iranischen Atomkonflikt die Rolle der EU. Sie hat bereits 2004 den Versuch einer friedlichen Alternative zu US-amerikanischen Sanktions- und Kriegsplänen aufgegeben. Sie stellte Maximalforderungen, die Iran nicht erfüllen konnte – und geriet damit zwangsläufig ins Fahrwasser der USA. Dabei hätte sie, im Falle eines harten Vorgehens gegen den Iran, die größten Verluste hinzunehmen. Probleme bei der Energieversorgung, der enorme Anstieg des Ölpreises und der Verlust lukrativer Märkte würden der Wirtschaft der EU-Länder erheblichen Schaden zufügen. Auch die Sicherheit Europas würde einer weit größeren Gefahr ausgesetzt werden als bisher.

Doch gerade die EU hätte in der aktuellen Lage endlich eine Chance, Initiative zu ergreifen und zwischen Russland und China einerseits und den USA andererseits eine vermittelnde Rolle zu übernehmen. Der Schlüssel zur Lösung des iranischen Atomkonflikts liegt darin, dass Iran das Recht auf Urananreicherung auf niedriger Ebene und unter verschärfter Kontrolle der Internationalen Atombehörde zugestanden wird.

Damit würde man den Radikalislamisten vom Schlage eines Ahmadinedschad den Wind aus den Segeln nehmen. Dieses Zugeständnis müsste einhergehen mit einem massiven Druck bezüglich der Menschenrechte. Nur so könnte man das Regime isolieren und die weit entwickelte iranische Zivilgesellschaft stärken. Sanktionen und Krieg erreichen genau das Gegenteil, sie stabilisieren das Regime und spalten die Zivilgesellschaft. Noch ist es Zeit, noch könnte die EU sich von der US-amerikanischen Politik absetzen und die drohende Katastrophe verhindern. BAHMAN NIRUMAND