Sind unsere Organ-spende-regeln zu lasch?
Ja

Transplantation 12.000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. Viele vergeblich, denn es gibt zu wenig Spender

Jochen Taupitz, 57, ist Jurist für Medizinrecht und Mitglied im deutschen Ethikrat

Die Organspenderegeln in Deutschland sind mit dafür verantwortlich, dass tagtäglich Menschen auf der Warteliste sterben, obwohl sie mit einer Organtransplantation gerettet werden könnten. Denn diejenigen, die einer Organentnahme nicht explizit zu Lebzeiten zustimmen und bei denen die Angehörigen dieses Schweigen auch nicht nach dem Tod überwinden, kommen nicht als Organspender in Betracht, obwohl sie vielleicht keine durchgreifenden Bedenken hatten. Deshalb sollte jeder Bürger bei geeigneten Gelegenheiten, etwa beim Erwerb des Führerscheins, aufgefordert werden, Farbe zu bekennen, ob ihm nach dem Tod Organe entnommen werden dürfen oder nicht. Zudem sollten diejenigen, die sich nicht äußern wollen, was ihr gutes Recht ist, im Gegensatz zum geltenden Recht als Organspender in Anspruch genommen werden können, sofern sie nicht selbst zu Lebzeiten, oder ihre Angehörigen nach dem Tod, widersprechen. Das wäre die Widerspruchsregelung. Es ist nur eine geringe Zumutung, darüber nachzudenken, ob man nach dem eigenen Tod anderen Menschen ein Weiterleben, jedenfalls ein besseres Leben ermöglichen will. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass die, die nicht widersprechen, keine allzu großen Vorbehalte gegen die Entnahme eines Organs nach ihrem Tod haben. Schließlich erwarten die meisten Menschen, im Bedarfsfall selbst ein Organ zur Verfügung gestellt zu bekommen – und sollten deshalb umgekehrt auch selbst zur Spende bereit sein. Oder ihre Ablehnung jedenfalls offenlegen.

Til Schweiger, 46, ist Schauspieler und wirbt bei „Proorganspende“ um Spender

Ja! Oder besser gesagt: sie sind einfach nicht gut genug! Gesetze haben doch den Sinn, unklare Verhältnisse eindeutig und einfach zu regeln, Missstände zum Wohle der Bürger zu beheben. Im Falle der Organspende führt die inkonsequente Gesetzgebung, die keine Entscheidungspflicht für jeden Bundesbürger vorschreibt, dazu, dass die meisten Menschen die Thematik aus vielerlei Gründen verdrängen oder sich der Wichtigkeit der Sache erst dann bewusst werden, wenn sie selbst oder Angehörige auf ein Spenderorgan angewiesen sind. Es ist absolut zumutbar, per Gesetz von jedem Menschen zu verlangen, eine klare Entscheidung zur Organspende für sich zu fällen – Pro oder Contra. Die bestehende Gesetzgebung garantiert nicht, den Menschen zu helfen, diese Entscheidung nicht zu versäumen. Dies aber ist geradezu fahrlässig, angesichts der weit über 1.000 Menschen, die jährlich sinnlos sterben, weil sie vergeblich auf ein Spenderorgan warten. Und das, obwohl eigentlich fast jeder, der einmal die Chance hatte, darüber nachzudenken, in sich spürt, dass auch er PRO ist: PRO-Organspende. Ich habe mich dazu entschlossen, dafür zu kämpfen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir zumindest in den lebensentscheidenden Dingen wieder füreinander einstehen – das können wir schaffen! Und die Gesetzgebung muss nachziehen!

Dieter Frick, 52, Erwerbsunfähigkeits-Rentner, hat seinen Beitrag auf taz.de gestellt

Angesichts der derzeit unbefriedigenden Regelung bin ich der Meinung, wir benötigen eine Bekenntnis-Umkehr. Das soll heißen, wer NICHT spenden will, besorgt sich einen Ausweis. Vermutlich denkt Mensch nur ungern an dieses Thema, weswegen es auch zu wenig SpenderInnen gibt. Dieses Problem wäre damit gelöst. Auch mir musste erst etwas zustoßen, damit ich an Organspende überhaupt dachte. Es war ein schwerer Motorradunfall im Jahr 1980, den ich mit Glück (aber ohne Organspende) überlebte. Seit diesem Zeitpunkt besitze ich Spenderausweise. Leider sind die aus Pappe oder Papier, sodass ich sie regelmäßig ersetze. Auch das ein Punkt, der zu ändern wäre. Deshalb denke ich, es wäre im Interesse aller, die auf ein Spenderorgan warten, richtiger, die Regeln zu ändern.

Nein

Martina Wenker, 51, ist Internistin und Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen

Im Vergleich mit anderen europäischen Staaten haben wir einen eklatanten Mangel an Spenderorganen. In Spanien werden jährlich 34 Organe pro eine Million Menschen gespendet, in Deutschland hingegen nur 14,9. Doch eine Widerspruchslösung, das heißt Organentnahmen bei jedem hirntoten Patienten, sofern dieser zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat, wird möglicherweise bestehende Ängste der Menschen verstärken, sich mit dem eigenen Tod beschäftigen zu müssen. Deshalb sind andere Maßnahmen vorrangig erforderlich, um den Mangel zu beheben: zum einen die Verbesserung der Organspendererkennung auf den Intensivstationen, zum anderen eine intensive Aufklärung der Bevölkerung mit dem Ziel, dass möglichst jeder Deutsche aktiv seine Organspendebereitschaft dokumentiert. Auch ist zunächst eine verpflichtende Einführung von Transplantationsbeauftragten in allen Krankenhäusern mit Intensivstationen nötig.

Günter Kirste, 62, ist Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation

Immer wieder wird die Einführung der Widerspruchsregelung gefordert, wenn es um die Steigerung der Organspendezahlen geht. Auch der Deutsche Ärztetag erhofft sich nun davon die Lösung. Aber niemand kann vorhersagen, wie sich eine Gesetzesänderung auswirkt. Für mich ist die Widerspruchsregelung kein Allheilmittel, um den Organmangel zu beheben. Vor allem dann nicht, wenn die Menschen von der Gesetzesänderung nicht überzeugt sind. Nur 37 Prozent befürworten die Widerspruchslösung. Schon heute gibt es Bundesländer, die Raten von über zwanzig Spendern pro Million Einwohner erreichen, obwohl die erweiterte Zustimmungslösung gilt. Entscheidender Knackpunkt ist die frühzeitige Erkennung und Meldung möglicher Spender in den Krankenhäusern. Dort müssen wir ansetzen, um die Zahl der Spenden zu steigern. Wir haben keine Zeit mehr für lange politische Debatten, die einer Gesetzesänderung vorausgehen. Im Interesse der 12.000 Patienten auf der Warteliste müssen wir schnell reagieren.

Carola Reimann, 42, SPD, ist Chefin des Gesundheitsausschusses im Bundestag

Unsere Regeln im Transplantationsgesetz halte ich für richtig. Doch nur 17 Prozent der Bundesbürger besitzen einen Organspendeausweis. Die Schwelle, sich aktiv um einen Ausweis zu kümmern, ist für viele zu hoch. Und das, obwohl bei Befragungen die Zustimmung zur Organspende sehr viel größer ist. Deshalb will ich, dass jeder Bürger gefragt wird. Jeder muss sagen, ob er zu einer Organspende bereit ist, und das möglichst früh, am besten mit Erreichen der Volljährigkeit. Natürlich kann jeder auch „Nein“ sagen und seine Meinung im Laufe des Lebens ändern. Die Entscheidung sollte direkt auf der Versichertenkarte dokumentiert sein.

Renate Greinert, 67, schreibt in ihrem Buch „unversehrt sterben!“ über ihre Erlebnisse

Die jetzige gesetzliche Lösung ist ohnehin schlimm für Angehörige, die im tiefen Schock um eine Organentnahme befragt werden. Die Folgerung, die Situation dadurch zu verbessern, dass man gar nicht mehr fragt, weil der „Spender“ nicht widersprochen hat, halte ich für absurd. Denn das Gesetz soll Menschen zwingen, sich uninformiert zu entscheiden. Spender und Angehörige werden nicht darüber informiert, dass sie für eine Organentnahme auf einen würdigen Sterbeprozess, in Ruhe und Frieden und im Beisein der Familie, verzichten müssen. Bisher wird einseitig werbend über die Bedürfnisse von Menschen informiert, die ein Organ brauchen.