BADISCHER LÖWE IN MITTE: Winnie
Ich hätte ihn fast überfahren. Dieser eine Abschnitt auf der Charlottenstraße kurz vorm Gendarmenmarkt ist einfach verdammt dunkel, als Radfahrer ist man permanent auf der Hut vor irgendeiner Autotür oder einem dieser Fußgängeridioten, die einfach so über die Straße gehen, ohne zu schauen, ob jemand kommt.
Und da war er auf einmal. Eine Straßenlaterne hinter ihm brachte seinen Kopf zum Leuchten, als würde eine Gloriole über ihm schweben. Unverkennbar. Das konnte doch nicht … das war doch nicht … oder doch? Er war schon auf der Höhe meines Hinterrads, da drehte er sich zu mir und sagte freundlich: „Hi!“ Total lässig. Hatte ich so geglotzt? Hatte er gemerkt, dass ich ihn erkannt hatte? Im Weiterzischen drehte ich mich um und rief leicht fragend „Hi?“ zurück.
Oh Mann, ich fahre fast Winnie Schäfer um, Held meiner Jugend aus Karlsruher Tagen, den Ritter des KSC, dieses Fußballvereins, der in der Ära nach ihm nur noch rumgurkte, den Löwen von Kenia, der sich mit sanfter Hand so gerne die Mähne aus dem Gesicht streicht. Und ich sage nur „Hi“. Ich, die ich mir seinen Namen für meine Ersatz-E-Mail-Adresse geliehen habe. Nicht mal ein lautes „KSC-olé-olé“ schaffte es aus meinem Mund in die Herbstnacht, ich war zu baff.
Wäre ich doch nur stehen geblieben, verflixt. Und umgedreht, zurückgefahren und hätte zu ihm gesagt: Lieber Herr Schäfer, was zur Hölle wollen Sie denn als Nationaltrainer in Jamaika? Ist nicht mal genug mit Globetrotten?
Und jetzt kommen Sie mir nicht mit „Da hat es gerade über 30 Grad“. In der badischen Provinz, da werden Sie wirklich gebraucht.
Ich habe dann erst mal vom Gendarmenmarkt aus meinen Vater angerufen. Der ist dem Verein treu geblieben und meldet sich aus dem Urlaub meist nur mit einer SMS: „Wie hat der KSC gespielt?“ ANNE HAEMING
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