HASENHEIDE: Irre Dealer
Frühling in der Hasenheide. Im Slalom umkurven Jogger heerschargroße Dealerbanden. Da ich im Gegensatz zu den meisten anderen gegen den Uhrzeigersinn laufe, begegne ich den Läufern jede halbe Runde, so auch dem untersetzten Mann im blauen Trainingsanzug und mit iPod in den Ohren. Als ich ihn das zweite Mal sehe, kommt er schreiend auf mich zugestolpert: „Hilfe! Keiner hilft mir!“ Hinter ihm her und großenteils bereits schon wieder von ihm weg stiebt eine Meute Parkdealer. Die Meute türmt, er taumelt mir entgegen und bricht neben mir zusammen. Rotz und Wasser schießen ihm aus dem Gesicht, doch es ist keine Pollenallergie, sondern Pfefferspray. Zu zehnt seien sie unvermittelt auf ihn losgegangen, hätten ihn geschlagen, getreten und besprüht. Er wisse nicht, warum.
Ich telefoniere denn mal. „Hier ist der Notruf der Berliner Polizei“, erklingt die sanfte Stimme, die ich im Schnitt nur alle paar Jahre zu hören bekomme. Sie scheinen da am anderen Ende stets eine besonders beruhigende Person zu postieren. Das ist psychologisch geschickt, denn die Polizei braucht auch heute mal wieder ewig. Ab und an gesellen sich weitere Spaziergänger zu uns, damit ich mich nicht alleine fragen muss, ob die Angreifer eventuell zurückkehren.
Kurz gesellen sich andere Dealer zu uns: Ja, sie hätten es gesehen, und nein, sie seien selber nicht beteiligt gewesen und ihre Kollegen seien leider ziemlich irre – auch er selbst, so der eine, habe bereits ein Messer im Rücken gehabt. Natürlich sei das Ganze mies für Image und Geschäft. Dasselbe habe ich mir auch schon gedacht. Wir wollen in Ruhe laufen, und sie wollen in Ruhe verkaufen. Wer braucht da schlechte Presse? Welcher Vogel ist so dumm, sich den Ast abzusägen, auf dem er sitzt? Und singt und dealt? Die Polizei trifft endlich ein und später auch der Notarzt. ULI HANNEMANN
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