Ein-Euro-Job: Apostel

Modell Bremen: Wer in der Gegenwart keine Arbeit findet, kann sich in der Vergangenheit nach einer Beschäftigung umschauen. Das gerade eröffnete „Geschichtenhaus“ bietet zahlreiche Kostüme und Coaching per Publikumskontakt

Von Henning Bleyl

Der Auftritt der Stadtmusikanten hat Schmackes: Mit einem gewaltigen Rums knallt die Tür des Räuberhauses auf den Boden, wild entschlossene Tiere preschen hervor, selbst der Bürgermeister zuckt zurück. Dabei will Jens Böhrnsen (SPD) nur ganz harmlos das „Geschichtenhaus“ eröffnen, wie Bremens jüngste Edutainment-Einrichtung sich nennt. Ein bisschen Bildung, ein bisschen Unterhaltung, immerhin auf 1.350 Quadratmetern. Vor allem aber ein Job für 30 Langzeitarbeitslose und ALG I-EmpfängerInnen.

Werden die jetzt in Tierkostüme gesteckt? Nein. Die Stadtmusikanten sind elektronisch gesteuert, ein Puppentheater in Lebensgröße. Aber der frühere Postbote, der beim Überholen der schwungvollen Hydraulik half, steht jetzt im Gewand des Apostels Jacobus vor dem Haus und begrüßt die Besucher. „Jacobus Major“ nämlich ist Patron des ehemaligen Packhauses im historischen „Schnoor“-Viertel in der Bremer Altstadt. Eine sympathische Mittvierzigerin, bei der Arbeitsagentur als Einzelhandelskauffrau registriert, wandert als Gesche Gottfried durch die Gänge, Bremens gattenmordende Giftmischer-Berühmtheit. Flankiert von weiteren Lokalheroen, die sich durch das Rollenspiel für die Rückkehr auf den ersten Arbeitsmarkt qualifizieren. Oder zumindest „sinnvoll beschäftigt“ werden. Das jedenfalls hofft Uwe Lange, Geschäftsführer des Beschäftigungsträgers „Bras“. Seine Idee: Theatertraining qualifiziere unter anderem für Bewerbungsgespräche, zudem wird die stadtgeschichtliche Ausstellung belebt.

Die Bras betreut 750 Langzeitarbeitslose und etliche ALG I-Bezieher, von denen bis zu 30 demnächst in Geschichte machen. Sieben Stunden am Tag, aufgeteilt in drei Schichten. „Mir bringt das Spaß“, sagt Postbote Jacobus, dessen archaisches Tattoo gut zum härenen Gewand passt – auch Gesche plaudert ausnehmend gern über ihre Arsen-Mixturen. Und Geschäftsführer Lange ist erst Recht zufrieden: Neben neuen Betätigungsfeldern hat sein Verein ein imposantes Gebäude dazugewonnen. Die jüngste Geschichte hat das fünfstöckige Lagerhaus zu einer günstigen Immobilie werden lassen: Anlässlich der Expo 2000 richtete die Stadt das Gebäude als Info-Center her, anschließend investierte der Wirtschaftssenator weitere Millionen in eine „ZeitRaum“-Ausstellung. Ausgestattet mit einer 3D-Brille erlebten die BesucherInnen Piraten, Pest und Plankenschrubben als interaktive „Event-Geschichte“. Bis, mangels Publikumsinteresse, vergangenen Sommer die Pleite kam.

Statt virtueller Interaktionen jetzt also echte Arbeitslose. Einen Großteil der Ausstattung, etwa die Kaffeerösterei, den nachgebauten Bunker, der die Kriegszeit repräsentiert, sowie eine halbe Hansekogge hat die „Bras“ der Einfachheit halber übernommen. „Mit dem Verkauf von Gebäude und Interieur ist das Insolvenzverfahren endlich abgeschlossen“, sagt der damit beauftragte Rechtsanwalt erleichtert, nur seine Kollegen von der Staatsanwaltschaft haben noch mit der Angelegenheit zu tun. Schließlich soll der frühere Vorsitzende der St. Jacobus-Stiftung eine satte Million Euro veruntreut haben. Der Bauunternehmer hatte sich in Sachen Packhaus bevorzugt selbst beauftragt, was der späteren Insolvenz kräftigen Vorschub leistete.

Mit ihrer nach eigenen Angaben „bundesweit einmaligen“ Beschäftigungsidee schlägt die „Bras“ jetzt ein neues Kapitel auf. Womit sie allerdings nicht überall auf Gegenliebe stößt. Die Bremer „Solidarische Hilfe“, ein Beratungsnetzwerk für Arbeitslose, hält das Rollenspiel im Museum eher für „Kokolores“. Natürlich sei jedwede Beschäftigung besser als die Alternativen „Parkbank und Glotze“, sagt Berater Herbert Thomsen. Hinsichtlich der Effizienz solle man sich aber keinen Illusionen hingeben: „90 Prozent sind nach Auslaufen der Maßnahmen wieder auf der Straße.“ Und denen sei mit handfesten schulischen oder beruflichen Qualifikationen dann mehr geholfen.

Für den stämmigen 58-Jährigen, der im Fischerhemd an der Kogge-Reling steht, trifft das nicht unbedingt zu. Er ist schon was, nämlich Möbeltischler, aber der erste Arbeitsmarkt ist für ihn so oder so in unerreichbare Ferne gerückt. Jetzt ist er glücklich, im historischen Ambiente Schifferklavier zu spielen und die BesucherInnen anzusprechen. Sechs Wochen hatten er und seine KollegInnen Zeit, sich unter Anleitung von Schauspielern und einer Historikerin auf ihre Rollen vorzubereiten. Ihnen hat es Spaß gemacht, im Staatsarchiv nach Quellen zur Vergangenheit des Hauses zu suchen, sogar einen eigenen Geschichts-Reader haben sich die ABM-ler und Ein-Euro-Jobber zusammen gestellt. Demnächst sollen sie noch von Seilern, Zigarrenmachern und Münzprägern geschult werden. Zumindest Letzteres ist immer nützlich.