Das große Download-Finale

EXKLUSIV FÜR ALLE Während Union und SPD um den Koalitionsvertrag feilschen, stellen andere die Entwürfe einfach schon mal vorab online

„Macht euch selber einen Eindruck“

MALTE SPITZ, GRÜNEN-PARTEIRATSMITGLIED, VIA TWITTER

AUS BERLIN ASTRID GEISLER
UND ANNA LEHMANN

In der CDU-Parteizentrale wurde seit Stunden im kleinen Kreis heftig um die schriftliche Arbeitsgrundlage einer schwarz-roten Regierung gefeilscht, da passierte etwas Ungewöhnliches: Ein erster Entwurf des umkämpften künftigen Koalitionsvertrages ging am Montagabend online – für alle Welt zum Herunterladen bereitgestellt.

Die neue Verhandlungstransparenz ist dem Grünen-Politiker Malte Spitz zu verdanken. Seinen 10.700 Followern auf Twitter schlug er vor: „Macht euch selber einen Eindruck vom Stand des Koalitionsvertrags von CDU, CSU und SPD“ – und verlinkte dazu das von ihm selbst ins Netz hochgeladene 177-Seiten-Papier.

An den Vertragsentwurf zu gelangen, war für das Parteiratsmitglied der Grünen kein Problem. „Ich habe ihn zum Schluss von mehreren Seiten angeboten bekommen“, sagt er. Einige Medien hatten am Montag bereits gemeldet, ihnen sei das Dokument zugespielt worden. Spitz ärgerte sich über das „Uns-liegt-der-Vertrag-exklusiv-vor-Gehabe“ und stellte das Papier kurzerhand selbst online.

Weder Unions- noch SPD-Politiker hätten ihn aufgefordert, den Entwurf wieder von der Seite zu nehmen. In Hamburg-Stellingen nahm sich die SPD-Basis die Aktion zum Vorbild und stellte den Entwurf ebenfalls ins Netz. Spätestens jetzt galten auch neuere Versionen des Vertragstextes als freigegeben – und wurden regelmäßig auf Twitter verlinkt. Besonders vertraulich waren die Papiere ohnehin nicht behandelt worden: Alle 75 Verhandler der großen Runde samt deren Mitarbeiter hatten Zugang zu den Dokumenten.

Kaum standen die Entwürfe im Netz, setzte eine öffentliche Debatte parallel zum schwarz-roten Endspurt im Berliner Willy-Brandt-Haus ein. Netzpolitiker kritisierten, dass die umstrittene Vorratsdatenspeicherung trotz Bedenken aus der SPD wieder in den Entwurf aufgenommen wurde. Der studentische Dachverband fzs bemängelte, die laut dem Vertragsentwurf geplante-Bafög-Reform gehe nicht weit genug und am geschmähten Deutschlandstipendium wolle die Koalition auch festhalten.

Die Linkspartei-Abgeordnete Halina Wawzyniak kritisierte, SPD und Union hätten sich auf die Einführung der „nachträglichen Therapieunterbringung“ verständigt – das sei eine Wiedereinführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung „durch die Hintertür“. Dabei sei die vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof für unzulässig erklärt worden.

Die Organisation Lobbycontrol begrüßte, dass sich die SPD dem Entwurf zufolge mit ihrer Forderung nach einer Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung durchsetzen konnte. Die Einführung von Karenzzeiten für Spitzenpolitiker, die in die Wirtschaft wechseln, werde wohl immerhin im Koalitionsvertrag stehen – wenn auch vage formuliert. Andere Punkte aus dem SPD-Wahlprogramm suchte die Organisation vergeblich, darunter das verpflichtende Lobbyregister und die Forderung nach einer größeren Transparenz bei den Nebeneinkünften von Abgeordneten. Dennoch ist das Verhandlungsergebnis aus Sicht von Lobbycontrol „zumindest ein kleiner Erfolg“.

In der ersten öffentlich diskutierten, vorläufigen Fassung des Koalitionsvertrags standen zahlreiche Absätze noch in eckigen Klammern oder waren mit Fragezeichen versehen. Das Thema Doppelte Staatsbürgerschaft tauchte zunächst gar nicht auf.