die taz vor neun Jahren: stefan reinecke über einen ausländerfeindlichen brandanschlag in lübeck
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Der Brandanschlag von Lübeck traf kein zufälliges Ziel. Die Tat richtet sich gegen einen Pastor, der einer algerischen Familie Kirchenasyl gewährt. Damit zielt sie auf ein Symbol jener zivilen Errungenschaften, die die Bundesrepublik von der Nazivergangenheit unterscheidet – etwa die Solidarität mit Verfolgten, wie sie bei der Aufnahme der bosnischen Kriegsflüchtlinge deutlich wurde. Die bundesrepublikanische Gesellschaft reagiert wie andere westliche Demokratien. Und die Solidarität, zu der sie fähig ist, entsteht von unten. Sie ist nicht mehr auf exquisite Clubs besserer Menschen beschränkt. Genau diese zivile Qualität haben die Täter im Visier.

Zwiespältig muten indes die offiziellen Reaktionen an. Bischof Kohlwage und Lübecks SPD-Bürgermeister Bouteiller fordern, daß wir nun harte, entschlossene Reaktionen des Staates brauchen. Die Konstruktion dieses großen Wirs ist es, die misstrauisch macht: Wir, Staat und Gesellschaft, gegen eine Handvoll Neonazis – ist es so einfach? Auch die Forderung des freundlichen Oberbürgermeisters, die Täter seien „ins Zuchthaus“ zu bringen, klingt befremdlich obrigkeitsstaatlich. Werden die Täter nicht eher in einer JVA landen? Schädlich ist Bouteillers Idee, nun müssten die NPD und die „Republikaner“ verboten werden, weil ihr Gedankengut den Neonazis den Boden bereite. Parteien werden hierzulande vom Bundesverfassungsgericht verboten – und dort hätte ein Verbotsantrag gegen NPD und Reps keine Chance. Eine zivile Antwort auf den Terror sollte auf solche Verbotsrhetorik verzichten. Denn wenn die Neonazis wirklich zum Handeln ermuntert werden, dann weniger von rechtsextremen Splittergruppen als von manchen markigen Worten aus der Mitte jenes großen Wir. Zum Beispiel von den Innenministern, die besser gestern als heute die Bosnienflüchtlinge loswerden wollen, oder von Bouteillers SPD-Genossen Voscherau, der ausländische Straftäter schneller abschieben will. taz vom 27. 5. 1997