Handverlesenes aus aller Welt

FESTIVAL „Around the World in 14 Films“: Das interessanteste Kino entsteht derzeit in Ländern, die die Freiheit der Kunst nicht allzu hoch hängen

Ein Festival-Höhepunkt ist die Rückkehr des Kultregisseurs und selbst erklärten Psychomagiers Alejandro Jodorwosky mit einem verblüffend autobiografischen Film

VON ANDREAS BUSCHE

In der Ära des postklassischen Kinos kommt Filmfestivals die wichtige Rolle einer Gegenöffentlichkeit zu. Zwar entwickeln sich auch Filmfestivals zunehmend zu Inseln in einem hochgradig ausdifferenzierten Weltkinomarkt, aber für die meisten Filme bleiben sie die einzige Möglichkeit, über den Heimkinomarkt hinaus ein Publikum zu erreichen. Die wachsende Zahl an Festival-Neugründungen ist nur ein Indiz für diese Entwicklung. Der Bedarf an Filmfestivals wird also eher noch zunehmen, solange die Weltmarktproduktion so stabil wie in den vergangenen Jahren bleibt. Dass der Festivalboom aber eigentlich nur die Kehrseite der aktuellen Krise des unabhängigen Kinos darstellt, ist ein Paradox, das sich am Beispiel von Brillante Mendozas „Thy Womb“ sehr anschaulich belegen lässt.

Mendoza gehört im Segment des „World Cinema“ gegenwärtig zu den bekannteren Regisseuren. Er hat bereits einige hohe Auszeichnungen (unter anderem in Cannes, Venedig und Locarno) in seinem Portfolio, wurde mit Retrospektiven bedacht und findet seine Produzenten, wie die meisten asiatischen und afrikanischen Filmemacher heute, vornehmlich in Europa. „Thy Womb“ ist Mendozas zehnter Film. Seit seiner Weltpremiere vor über einem Jahr in Venedig wurde er auf fast 50 Filmfestivals aufgeführt, hatte bisher aber keinen regulären Kinostart. Auch auf DVD ist er bislang nicht erschienen. Für das Berliner Publikum ist das achte „Around the World in 14 Films“-Festival möglicherweise die einzige Gelegenheit, „Thy Womb“ einmal im Kino zu sehen. Dieses Schicksal teilt er zwar mit der Mehrheit der vierzehn Filme, die von den Organisatoren handverlesen aus dem letzten internationalen Festival-Jahrgang ausgewählt wurden. Dennoch ist die Feststellung ernüchternd, gilt der philippinische Regisseur unter Cinephilen gemeinhin doch als Star des Weltkinos.

Unter diesen Umständen kann man das Filmfestival „Around the World in 14 Films“ gar nicht genug würdigen. Natürlich hat auch die diesjährige Ausgabe Filme im Programm, die auf Filmfestivals nicht mehr angewiesen sind. „Inside Llewyn Davis“ (Filmstart: 5. Dezember) von Joel und Ethan Coen etwa. Oder „Stories We Tell“, in dem die kanadische Filmemacherin Sarah Polley ihre vertrackte Familiengeschichte offenlegt. Wahrscheinlich hat sich auch Oscar-Preisträger Asghar Farhadi mit seinem sechsten Film, der französischen Produktion „Le Passé – Das Vergangene“, diesen Status längst erarbeitet. Farhadi ist aber auch ein Beleg dafür, dass man sich den Festivalkreislauf nicht nur als Lauf im Hamsterrad vorstellen muss. Farhadis Filme sind kulturell spezifisch genug, um ein Weltkino-Publikum zu erreichen, gleichzeitig sind ihre Mittelklasse-Konflikte so allgemeingültig, dass „Le Passé – Das Vergangene“ Farhadi wohl endgültig aus der Programmnische geholt hat.

Auch in seinem neuen Film zeigt der iranische Regisseur, was er am besten beherrscht: mit klaren, analytischen Bildern eine Familienkonstellation beschreiben, in der die individuellen Schicksale seiner Figuren unter dem drückenden Einfluss einer schwierigen Gemengelage aus privaten, politischen und kulturellen Konflikten stehen.

Ein anderer Festival-Höhepunkt ist die Rückkehr des Kultregisseurs und selbsterklärten Psychomagiers Alejandro Jodorwosky mit einem verblüffend autobiografischen Film. In „La Danza de la Realidad“ spielt der 84-jährige Jodorowsky sich selbst, sein Sohn Brontis übernimmt die Rolle des tyrannischen Vaters, dem die Mutter, die ihre Texte als Arien vorträgt, in einer von vielen hochgradig bizarren Szenen herzhaft auf den Brustkorb pinkelt. (Außerdem haben eine Gruppe revoltierender Amputierter und andere menschliche Anomalien kurze Auftritte.) Jodorowsky wird in Berlin auch persönlich anwesend sein.

Ein weiteres Programm-Highlight ist der iranische Beitrag „Manuscripts don’t burn“ von Mohammad Rasoulof, der in seinem Land wie sein Kollege Jafar Panahi unter Beobachtung steht. Umso erstaunlicher, dass Rasoulof einen derart unverhohlen kritischen Film über die illegalen Machenschaften der iranischen Regierung gedreht hat (es geht um die Liquidierung regimekritischer Stimmen), der in seinem Erzählduktus an das Paranoiakino der Siebzigerjahre erinnert.

„Manuscripts don’t Burn“ ist zusammen mit dem libanesischen Film „The Attack“ (Regie: Ziad Doueiri) und der kambodschanischen Dokumentation „The Missing Picture“ (Regie: Rithy Panh) das beste Beispiel dafür, dass das interessanteste Kino momentan in Ländern entsteht, die die Freiheit der Kunst nicht allzu hoch hängen.

■ „Around the World in 14 Films“: 29. 11.–7. 12., Babylon Mitte und Thalia Potsdam, Programm unter www.14films.de