Kein Platz für hübsche Mädchen

Beim Eröffnungsfest war vom neu gestalteten Jungfernstieg nichts zu sehen vor lauter Menschen. Erst jetzt, eine gute Woche später, tausende von Menschen weniger, hat er sein Antlitz enthüllt

von MAXIMILIAN PROBST

Fäden ziehend hängt der Regen schräg aus dem Himmel. Westwind wie immer, als wir aus den Großen Bleichen biegen. Kalt ist es. Leer sind die breiten Bürgersteige vor dem Alsterhaus. Haushohe Straßenlaternen ragen aus dem Boden wo einmal Bäume standen. Nach Betonwüste sieht es aus, durch die sich ein Asphaltstrom wälzt: Ost-West-Straßen-Flair. Wechseln wir lieber die Straßenseite.

Die Silberlinden: schön in Reih und Glied. Hier kann man flanieren. Es tröpfelt leicht aus den Blättern, wenn der Wind hineinfährt. Am Boden hüpfen die Tropfen von Pfütze zu Pfütze. Dann entdeckt man vielleicht auch die schwarzen Markierungen, geht ihnen nach, bis dahin, wo die Striche in die Straße münden: Ein Fahrradweg! So gut getarnt, dass wir Fußgänger müßig darauf schlendern. Jetzt aber zu den Uferstufen.

„Grässlich, dieser Gestank“, stöhnt die Frau mittleren Alters am Arm ihres Mannes. „Wonach eigentlich?“ Da hätten sie die Supernasen von der Bild fragen sollen, die ihren Riecher auch diesmal wieder unter Beweis gestellt hatten: Die Bänke sind’s, schrieben die, das Tropenholz müffelt. Jetzt aber, alles noch feucht vom Regen und mit den ersten durch die Wolkendecke brechenden Sonnenstrahlen, ist die Sache wirklich am Dampfen: Es stinkt – jeder andere Ausdruck wäre schiere Untertreibung – bis zum Himmel. Aber wir haben hier zu tun. Also Nase zu und durch.

Die Stufen aus einem glatten und hellen Gestein – das Herzstück des neuen Jungfernstiegs. Wer allerdings Lederschuhe trägt, der setzt sein Leben gleich mal aufs Spiel: Ausrutschgefahr. Mögliches Szenario: Aufschlagen des Hinterkopfs an den scharfen Kanten der Stufen. Genauso wahrscheinlich ist es, eine Stufe zu übersehen und vornüber zustürzen: Scheint die Sonne, blendet der Stein so stark, dass sich nur mit Sonnenbrille sehen lässt. Wir haben sie natürlich mit demselben Optimismus eingesteckt, mit dem wir den Schirm zuhause ließen.

Links der alte Alsterpavillon, rechts der neue Glaskubus und ein Tickethäuschen für die Bootsfahrten; ein paar Mülltonnen, die Stinke-Bänke, Seitentreppen, den Längslauf der Stufen unterbrechend, die Promenade am Wasser: Nicht weitläufig erscheint dieses Ensemble. Sondern kleinteilig. Fast ein wenig eng. Was eigentlich nicht verwundern kann. Schließlich nehmen der Alsterpavillon mit Terrasse und der Glaskubus mit Restaurant und einer weiteren Terrasse ungefähr die Hälfte des Uferstreifens ein. Und hinter dem Glaskubus schiebt sich zu allem Überfluss eine höher gelegene Aussichtsfläche in die Alster, die mit einer Doppelreihe von Flaggen bestückt ist und an einen Schiffsbug erinnern soll.

Recht groß und an zentraler Stelle ist am Ufer eine Dankestafel angebracht. Herrn Werner Otto gewidmet, der den Umbau des Jungfernstiegs mit seinem Versandhausgeld kräftig unterstützt hat. Das möchte man für die Geschichte festhalten. Wobei einem einfällt, dass der Boulevard einst zu seinem Namen kam, weil er stets von jungen hübschen Hanseatinnen bevölkert war. Heute ist das Bild, vielleicht sah es der Spender voraus, ein anderes: Ottonormalverbraucher, soweit das Auge reicht. Dass sich die meisten offenbar am Gestank nicht stören, spricht dafür, dass sie vom Lande kommen. Hamburg, nicht Tor zu Welt. Sondern Rand der Provinz.