Einmal nicht Leuchtturm sein

Am Wochenende tanzte der Klub Langer Menschen (KLM) auf seinem Europaball in der Osnabrücker Stadthalle. Die 240 Gäste freuten sich, ausnahmsweise nicht heraus zu ragen

„Es fängt ja schon bei den Hosen an und hört bei den Plätzen im Flugzeug auf“

aus OsnabrückJENNIFER NEUFEND

„Hier gibt es sogar Leute, zu denen ich hochgucken muss“, freut sich Elke. Die einen Meter und 92 Zentimeter große Frau aus Frankfurt am Main ist extra nach Osnabrück gereist, um hier am Treffen des Klubs Langer Menschen (KLM) teilzunehmen. Von einem der Stehtische im Kongresssaal der Stadthalle Osnabrück aus sieht sie den tanzenden Paaren zu. „Ich habe mir fest vorgenommen, auch einen Tanzkurs zu machen“, sagt sie. Den bietet auch der KLM an – in den normalen Kursen finde sie ja keinen Tanzpartner, der im besten Falle auch noch größer ist als sie selbst. „Es ist das erste Mal, dass ich auf dem Europaball bin“, erzählt Elke. Aber im kommenden Jahr „in Freiburg bin ich auf jeden Fall wieder dabei“. Vielleicht klappt es dann ja schon mit dem Tanzen.

Es ist Samstagabend und der Klub langer Menschen hat zu seinem diesjährigen Europaball eingeladen. Beinahe 240 Lange und besonders Lange sind gekommen. Der Rekord soll heute Abend bei 2,18 Metern liegen, so wird gemunkelt. Die Ballgäste kommen aus etlichen Regionen und Städten Deutschlands, aber auch aus dem europäischen Ausland: Den Niederlanden, Norwegen, der Schweiz, Luxemburg oder Großbritannien. Sie haben teils weite und kostspielige Wege auf sich genommen, nur um einmal nicht Leuchtturm sein zu müssen; sich einen ganzen Abend nicht bücken zu müssen – sieht man vielleicht einmal ab vom Gang ans Buffet.

Der Ball schließt sich an das 39. Europatreffen des KLM an: Unter dem – beim Stadtmarketing entlehnten – Motto „Zum Glück in Osnabrück“ umgaben sich Frauen ab 1,80 und Männer ab 1,90 Meter eine Woche lang mit ähnlich Gewachsenen. „Als Trupp macht man da ganz schön was her“, sagt Elke lachend. „Das gibt Selbstvertrauen.“

Viele der Frauen haben heute Abend sogar ihre hohen Schuhe angezogen. Was sie an anderen Tagen, umgeben von mehrheitlich Kurzen, vielleicht versuchen zu kaschieren, ist heute kein Problem. „Wir reden eigentlich gar nicht über unsere Größe“, weiß Martina. Die Hannoveranerin, 1,92 Meter groß, ist nach Osnabrück auf den Ball gekommen, weil „man hier tanzen kann, ohne aufzufallen“. Dem stimmen auch Silke und Marion zu. Mit jeweils 1,83 Metern messen die beiden Hamburgerinnen gerade genug, um dem Klub Langer Menschen überhaupt beitreten zu dürfen. „Hier müssen wir sogar vorne auf‘s Gruppenbild“, sagen sie fröhlich.

Das Jacket, das anderswo im Saal ein grauhaariger Mann über seinen Stuhl gehängt hat, liegt mit dem Saum auf dem Boden. Da hilft auch das ständige Gezupfe nichts. Schließlich nimmt der Mann das Kleidungsstück und hängt es an eine Türklinke. Wäre das Jackett nicht viel zu lang – oder der durchschnittliche Osnabrücker Kellner nicht um die 1,70 Meter klein –, fiele es an diesem Abend nicht auf, dass hier durchweg Zweimeter-Männer Damen beinahe der selben Körpergröße übers Tanzparkett führen.

Während die Band „Spirit Fire“ mit Liedern von „Abba“ und Co. die Tanzfläche unterhält, blickt Jens Hauber von seinem Platz aus zufrieden in den Kongresssaal. Als Bezirksleiter des KLM Osnabrück ist er der Gastgeber des diesjährigen Balls. Auf dem gehe es darum, „einen geselligen Abend zu verbringen“ und Gedanken auszutauschen. „Heute sind alle gleich groß, keiner sticht heraus“, so Hauber. Dass man die Sängerin auf der Bühne hinter all den davor tanzenden Langen vor der Bühne nur vermuten kann, ist eine andere Sache.

Ob man in dieser Runde einen passenden Partner oder eine passende Partnerin finde? „Insgesamt sind hier mehr Frauen als Männer“, sagt der Zweimeter-Mann. In Osnabrück seien von 48 Mitgliedern des Klubs fünf Frauen Singles, erläutert er, „es gibt aber nur einen Singlemann“. Er wisse im Bezirk von einem „Paar, das sich im Klub kennen gelernt hat, das ist aber schon 20 Jahre zusammen“.

Die Probleme überdurchschnittlich langer Menschen beschränken sich ohnehin nicht darauf, einen Lebens und Tanzpartner zu finden. „Es fängt ja schon bei den Hosen an und hört bei den Plätzen im Flugzeug auf“, erzählt Jens Hauber. Daher sei es auch eines der Ziele des Vereins, „dass wir im ganz normalen Alltag nicht diskriminiert werden“. Der KLM, der deutschlandweit gut 3.000 Mitglieder hat, erfreue sich vieler Anfragen. „Die Leute“, meint Hauber festgestellt zu haben, „werden immer größer.“ Gut also, dass die Osnabrücker Stadthalle nicht nur in die Höhe so großzügig gebaut ist.