Reaktion auf den jeweils anderen

betr.: „Die Fäulnis im Fundament“, taz vom 27./28. 5. 06

Endlich einmal wird ein Artikel geschrieben, der auf die großen Gemeinsamkeiten in den Ursachen der Gewalt von rechtsradikalen jungen Männern und Männern mit Migrationshintergrund hinweißt … In der Regel wird in der deutschen Presselandschaft, je nach politischer Ausrichtung der Zeitung, jeweils nur eine Seite problematisiert.

Die Ursachen der beiden Gewaltphänomene sind, wie sie richtig darstellen, zu einem beachtlichen Teil, in den selben gesellschaftlichen Strukturen zu suchen: Ein großer und ständig wachsender Teil der Gesellschaft wird von Arbeit und somit von Anerkennung ausgeschlossen. Dies steigert insbesondere bei jungen Männern die Gewaltbereitschaft. Die gebildeten und privilegierten Schichten versuchen jedoch allzu oft, die Gewalt nicht ökonomisch, sondern kulturell zu erklären.

Es gibt jedoch noch einen weiteren Zusammenhang zwischen beiden Gruppen, der besonders unbequem ist, aber nicht vergessen werden sollte: Zumindest in Westdeutschland, wo beide Personengruppen (Gewalttäter mit rechtsradikalem und mit Migrationshintergrund) gleichermaßen anzutreffen sind, konstituieren sich diese Personenkreise auch gerade als Reaktion auf die Existenz des jeweils anderen. So schließen sich Einwandererkinder in Gruppen zusammen, um nicht Opfer rechter Gewalt zu werden. Aber auch deutsche Jugendliche sehen mitunter in rechten Skinheadgruppen Schutz vor Gewalt von Migranten. Dieses Verhalten ist in gewisser Weise durchaus rational.

Je eher man diese unangenehmen Wahrheiten offen anspricht, desto eher wird es auch möglich sein, an einer Lösung zu arbeiten. Diese unbequemen Wahrheiten sind natürlich weit entfernt von der Erfahrungswelt akademischer Kreise, aber sie bilden den Erfahrungshorizont breiter Bevölkerungsgruppen.

CORDT HOLLBURG, BIELEFELD