ZWISCHEN DEN RILLEN
: Neuer Jazz: Verruchte Tricks im unruhigen Fahrwasser

Christoph Irniger Trio: „Gowanus Canal“ (Intakt Records/Harmonia Mundi) BROM: „there.“ (Gligg Records/Al!ve)

Jazz lebt für seine Fans vor allem durch die Live-Performance: Wo Spontaneität, Interaktion und musikalische Profilierung gefragt sind, stellt sich für das Publikum unmittelbarer Genuss ein. Der 42-jährige Berliner Alexander Beierbach weist mit seinem Quartett BROM auf seinem neuen Album „there.“ den Weg zur momenthaften Komposition, wie sie in Konzerten entsteht. Sein um acht Jahre jüngerer Schweizer Kollege Christoph Irniger gießt sein Spiel auf „Gowanus Canal“ in knackige Studio-Takes, obwohl im titelgebenden Kanal alles andere als Frischwasser fließt. Irniger, der Bassist Raffaele Bossard und der in New York ansässige Schlagzeuger Ziv Ravitz suhlen sich mit einem schroffen eingängigen Blues durch den titelgebenden Verbindungskanal in Brooklyn.

Das Stück verklingt so unerwartet früh wie sein Funke schon übergesprungen ist. Und dieser vorzeitige Entzug schmerzt – ein verruchter Trick auch bei anderen Stücken. Wenn Irniger sich im oberen Tonspektrum des Tenorsaxofons (das lange mit dem geschwungenen Hals) aufhält, schwärmen seine Melodien gezielt aus, um anschließend wieder von vollen tiefen Tönen in die durchkomponierte Textur der Stücke eingebettet zu werden.

Blindlings verlassen

Auf Ravitz und Bossard kann er sich dabei blindlings verlassen, ohne je ein Solo blind an ihnen vorbei zu exerzieren. Vibrierende Stücke aus seiner Feder wie „Airplane Mode“ oder „Burnout“ wechseln mit solchen, in denen er bedachtsam, bisweilen zurückgenommen agieren kann wie in „Schattenspiel“ oder „Kanon“ (beide von Bossard). In Letzterem hält Irniger auf der Bassklarinette mit dem Bassisten eine federleichte Zwiesprache, die Ravitz durch wenige Akzente ausbalanciert. Jetzt gilt nur noch, für die Musiker und ihr Publikum gleichermaßen, sich live mit den Stücken forttragen zu lassen.

Alexander Beierbach kreiert mit seinem Trio BROM (gebildet aus den Anfangsbuchstaben seines Nachnamens und denen von Bassist Jan Roder und Schlagzeuger Christian Marien) im Studio eine schwebende Konzertatmosphäre. Während Anfänge und Enden seiner Stücke mit den Komplizen sehr entschieden vereinbart sind, reizt jeder von ihnen seine Gestaltungsfreiheit in Improvisationen aus.

Eine formale Struktur hält die einzelnen Stücke zusammen: Mal steht „Loop“ in einem Titel vor und nach „there.“, das drei Nummern später für sich allein steht, mal gesellt sich zum ohnehin kryptischen „Mygalomorph“ das Stück „Schlick“ hinzu und später, „Mauve“, das sonst nicht auftaucht.

Wer dieses Geflecht der Musik nicht anhört, muss keineswegs an seinem Gehörsinn zweifeln. Ein wenig Abenteuerlust reicht schon, um sich von Beierbach eine knappe Dreiviertelstunde durch unruhiges Fahrwasser navigieren zu lassen. Im langsamen und düsteren Eröffnungsstück „Skizze # 2“ schwingt er sich unbeirrt über die schroffen Impulse von Bass und Schlagzeug. In „Loop“ begegnet sein frei flottierendes Spiel Mariens Trommelfeuer und Roders Saitenjagd mit einem eigenen Zeitmaß.

Den Ton mit viel Atemluft scheut Beierbach ebenso wenig wie ein Tröten auf dem Sopransaxofon, er kann sich zurückziehen oder eine schlichte Melodie zur Hauptsache machen. Weil er eher Grundstimmungen erzeugt, als zu zeigen, was sein Saxofon noch so alles hergibt, driftet keines der Stücke in bloße freie Improvisationen ab.

Als bewährte Rhythmussektion in zahlreichen Combo-Konstellationen der Berliner Jazzszene reagieren Marien und Roder auf Beierbach nicht etwa abgefeimt, sondern so präsent wie gelassen.

Veröffentlicht wurde die Aufnahmesession von Gligg Records. Das saarländische Label hat es sich, wie im einstigen Kohlerevier üblich, zur Aufgabe gemacht, noch unentdeckte Schätze aus Jazz und E-Musik ans Licht zu befördern. FRANZISKA BUHRE