DAS GESETZ MIT FÜßEN TRETEN
: Soziologie der Vorband

Nils Schuhmacher

Vor einigen Jahren konnte man in der Kneipe „Mutter“ den Aushang einer Band lesen, die nicht nur einen Bassisten, sondern auch gleich einen Gitarristen suchte – und dies möglichst umgehend. Mitgelieferte Begründung für die Eile: ein bereits feststehender Platz als Vorband von Revolverheld nur wenige Monate später. Ein weithin befolgtes Gesetz wurde hier also mit Füßen getreten. Es lautet: mit dem Status als Vorband geht man vorsichtig um, posaunt ihn jedenfalls nicht an Orten heraus, an denen nur Angestellte von Hauptbands verkehren. Denn es gibt Leute, die denken: „Einmal Vorgruppe, immer Vorgruppe“.

Aber so recht sie mit Blick auf manche Band auch haben, die Realität – dieses aus Abweichungen, Hoffnungen und Enttäuschungen gestrickte Ding – sieht natürlich anders aus. In den Tiefen der unkommerziellen Musikwelt, in der es allen erklärtermaßen ja nur um die Musik und nicht ums Geld geht und in der kleine Bands unter sich bleiben, ist zum Beispiel der Headliner oft derjenige, der die schlechtesten Karten abbekommt. Weil um 2 Uhr nachts eben alle schon weg oder nicht mehr fähig sind, die gut gelungenen Songs der fünften Band aufzunehmen. Auch pragmatische Gründe können die Startposition besonders schmackhaft machen. Man kann nach abgelieferter Kunst nämlich selbst gehen oder sich den wichtigen Dingen zuwenden, die oft mit Alkohol zu tun haben. In Punk- und Hardcore-Kreisen gibt es die Vorband gar nicht erst. Alle sind gleich und sprechen von „der anderen Band“. Um ihr Gleichheitsstreben zu untermauern, ziehen sie Lose, um zu ermitteln, wer wo hingehört.

Und schließlich: Nahezu alles, was an Haupt-Acts durch die Lande zieht, war selbst mal „Opener“. Man hatte also zunächst vielleicht einfach nur Pech und musste sich im Pay-to-play-Verfahren in die Sache hineinkaufen oder von erwartungsfrohen Konzertbesuchern ignorieren und ausbuhen lassen. Man hatte dann aber doch irgendwann Glück, sah das Licht, spielte die Hauptbands an die Wand, dass ihnen ganz anders wurde, und war schließlich irgendwann selbst Hauptband (zum Beispiel Queen). Während die einstigen Hauptbands (zum Beispiel Mott the Hoople) im Programmablauf vorrückten und allmählich in Vergessenheit gerieten.

Bis es soweit ist, muss man allerdings – und hier erweist sich der obige Satz als Gesetz der Wahrnehmung – als schmückendes Beiwerk, als Legitimation für den Eintrittspreis oder als „Support“ (das eigentlich niederträchtigste Wort von allen) fungieren und lebt davon, dass Leute auf Konzerte gehen, die sich für Musik interessieren, die sie noch gar nicht kennen.

Diese Leute treffen dieses Wochenende vielleicht auf Killer. Das Seitenprojekt des Sängers der sehr lange schon bestehenden – und sehr unkommerziellen – deutschen Punkband EA 80. Im Gegensatz zu deren eingängig-melancholischem Treiben wird hier allerdings eine aus Country, Singer/Songwriting mit verzerrter Gitarre und experimentellem Gefiepe und Gekrache bestehende Soundcollage erstellt (So, 1. 12., 20 Uhr Hafenklang, Nachband: Action Beat).

Weiter ziehen sie zu Mitch & Mitch. Die beiden sind eine aus Polen stammende „Bigband“, die ordentlich zersausten Country spielt – auf eine so weitreichende Art, dass sie gleich in den Haupt-Act hineindiffundiert (Di, 3. 12., 20 Uhr, Uebel & Gefährlich, es folgt: Felix Kubin).

Schließlich landen sie bei Potato Fritz, einer Art Hausband des Fidel-Bastro-Labels. Deren EP-Release-Konzert wurde 1997 von einer Gruppe eingeleitet, die auf den Namen Superpunk hörte, sich bald zum Haupt-Act mauserte – und nicht mehr existiert. Potato Fritz hingegen haben irgendwo zwischen Noise-Indierock und in aufreizender Langsamkeit einfach immer weitergemacht (Mi, 4. 12., 20 Uhr, Hafenklang, im Anschluss: Chokebore).