Lückenschluss mit Musik

ROCK-MUSICAL In den 1980ern bekam Autor Jonathan Larson für „Rent“ den Pulitzerpreis. Eine Hamburger Inszenierung konzentriert sich jetzt auf die Problematik der Gentrifizierung im Stadtteil St. Pauli

Im Paris des 19. Jahrhundert war es die Schwindsucht, in New York Ende der 1980er Aids – und heute in Hamburg-St. Pauli ist’s die Gentrifzierung. Wer den sterilen Ausdruck „Kreativprekariat“ bemüht, vergisst: Künstler zu sein war schon immer existenzgefährdend. Jonathan Larsons Rock-Musical „Rent“, 1996 in New York uraufgeführt, erzählt ohne Zuckerguss und Sentimentalitäten ein Jahr im Leben acht junger Künstler, ihrer Freunde und Feinde nach. Dafür erhielt Larson, der tragischerweise in der Nacht vor der Premiere verstarb, posthum den Pulitzerpreis.

Am Dienstag feiert „Rent“ im Gruenspan Hamburg-Premiere. Ganz bewusst wurde da ein Club als Aufführungsort gewählt. „Hamburg ist die drittgrößte Musicalstadt nach New York und London, aber es gibt hier bislang noch keine Off-Musical-Szene“, sagt Sebastian Rousseau, Künstlerischer Leiter des Projekts. „Rent“ soll der Auftakt einer Reihe von Inszenierungen sein, mit denen Rousseau „die Lücke zwischen kommerzieller und bürgerlich-intellektueller Bühne schließen will“.

In „Rent“ sehen Rousseau und die zwei Hauptdarsteller Lisa Huk und Robert Meyer zahlreiche Parallelen zwischen dem East Village der 1980er und dem heutigen St. Pauli. Huk spielt die drogenabhängige Tänzerin Mimi, Meyer den aidskranken Rocksänger und Ex-Junkie Roger, die sich ineinander verlieben. Ihnen droht, vom räumungswütigen Vermieter aus ihren Wohnungen herausgeworfen zu werden.

Beim Kajal-und-Leder-Outfit wird klar: Ganz ohne Rock-Klischees kommt „Rent“ nicht aus. Auch die Thematisierung von Homosexualität und Aids hat 2013 nicht mehr den schockierenden Effekt wie vor zwanzig Jahren. In Hamburg konzentriert man sich also auf die Gentrifizierungsproblematik. Und hat einige Kiez-Klassiker in die Story eingebunden: „Die eine oder andere Figur“, verrät Lisa Huk, könnte „dem Zuschauer aus dem Straßenbild bekannt vorkommen“.

An der Story selbst wurde grundsätzlich nichts verändert. So ganz einfach, wie man bei Puccini Bürgertum und Boheme und zu Larsons Zeiten Underground und Establishment gegenüberstellen konnte, ist die Situation dann aber doch nicht mehr. „Wir haben bei den Proben lange über den Begriff der Boheme diskutiert“, erzählt Robert Meyer. Was Boheme heutzutage überhaupt noch bedeuten soll, wusste dabei keiner der Darsteller so richtig. „Ich für meinen Teil“, gesteht Meyer, „trinke nicht einmal Kaffee.“  HANNA KLIMPE

■ Premiere: Di, 5. 12., 20 Uhr, Hamburg, Gruenspan; weitere Termine: 14., 15., 22., und 27.–29. 12., 8.–10. 1.