Nur eine Pause, nicht das Ende

DER PROTEST WIRKT

Anderthalb Jahre haben die Flüchtlinge in einem provisorischen Zeltlager auf dem Kreuzberger Oranienplatz gelebt. Sie haben monatelange Minusgrade und Rattenplagen überstanden, sie waren von Kleider- und Essensspenden abhängig, sie haben zwischendurch die Nerven verloren und sich an etwas festgeklammert, was in denkbar weiter Ferne lag: ein Hauch von Perspektive in ihrem Leben.

Und nun, da das Camp vor der Räumung steht, stellt sich die Frage: Hat sich das alles gelohnt?

Was die Flüchtlinge erreicht haben, die ja nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten für ihre Rechte kämpften, ist viel: Sie haben mehr Bewegung in die bundesdeutsche Asylpolitik gebracht, als es in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war. Geplant ist, dass sie sich künftig in jedem Bundesland frei bewegen dürfen, außerdem nach drei Monaten statt wie bisher nach neun zu arbeiten beginnen können.

Trotzdem sind natürlich längst nicht alle Forderungen wie etwa die nach der vollständigen Abschaffung der Residenzpflicht oder der Lager erfüllt. Und so schmerzlich es ist: Dass es dazu kommen könnte, erscheint derzeit, auch angesichts des Abbruchs der Proteste, unwahrscheinlich.

Wie es zudem konkret weitergeht für die Menschen, die nun in einem Heim in Wedding leben, ist völlig offen – die meisten von ihnen haben keine gültigen Papiere. Der Flüchtlingsrat fordert aus humanitären Gründen Aufenthaltsrechte für die gesamte Gruppe. Kaum vorstellbar, dass die Zuständigen – Senat und Bundesinnenminister – das Risiko eingehen, damit einen Präzedenzfall zu schaffen. Im März also, wenn das Heim nicht mehr zur Verfügung steht, könnte es für viele ein hartes Erwachen geben.

Man wünschte sich, die Flüchtlinge hätten die Kraft, weiterzumachen: so laut und radikal, so fordernd, wie sie in den vergangenen anderthalb Jahren aufgetreten sind. Vielleicht ist dies nun das Ende der Proteste. Vielleicht aber ist das, was nun kommt, auch nur eine Winterpause, eine Verschnaufpause – und im Frühjahr geht es weiter.

PATRICIA HECHT