„Die Fenster sind offen“

Die SPD in Schleswig-Holstein klärt ihr Führungspersonal, die Grünen lassen sich Zeit: Parteichef Robert Habeck über Kompetenzlücken und politische Inhalte, Aushängeschilder und neue Gesichter an der Spitze

Interview: SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Herr Habeck, mit Anne Lütkes und Klaus Müller verlieren die Grünen ihre prominentesten Aushängeschilder. Verlieren sie auch Substanz?

Robert Habeck: Es sind die Köpfe, die wir jahrelang plakatiert haben, das ist ein großer Verlust, buchstäblich ein Gesichtsverlust. Diese Lücke müssen wir in den nächsten zwei Jahren personell schließen und auch inhaltlich. Jeder Neustart ist aber auch eine Chance. Ich bin da sehr optimistisch.

Wie wollen Sie das Kompetenzvakuum speziell in der Umwelt und Rechtspolitik füllen?

Anne und Klaus haben ihre Arbeit immer stark in die Arbeitskreise der Partei zurückgespiegelt. Deshalb ist da hohe Fachkompetenz vorhanden. Jetzt müssen wir das umdrehen. Der Input muss mehr von der Partei zur Fraktion gehen, um diese im Landtag zu unterstützen.

Oder ihr reinzureden?

Nein. Es gibt keine Gräben zwischen der Partei und der neuen Fraktionsführung. Vordringlich ist, dass wir zusammen arbeiten, die Grünen in Schleswig-Holstein stabil halten und dann programmatisch und personell neu aufstellen.

Bringt das auch einen Bruch mit der früheren rot-grünen Regierungspolitik mit sich?

Ich würde es Abnabelung nennen. Wir müssen die Frage beantworten, warum bestimmte Projekte in neun rot-grünen Jahren nicht mehrheitsfähig wurden. Da nützt kein einfach weiter so. Mit neuen Leuten und neuen Ansätzen müssen wir Politikinhalte neu definieren im Hinblick auf die Wahl in vier Jahren. Und da sind wir bereits mittendrin.

Die Grünen haben während ihrer Regierungszeit die Nachwuchsarbeit arg vernachlässigt. Wo sind denn die vielen tollen unbekannten Talente?

Die gibt es reichlich, ich nenne jetzt aber keine Namen. Bei der Listenaufstellung vor zwei Jahren ist es allerdings verabsäumt worden, neue Gesichter auf aussichtsreiche Positionen zu bringen. Damit hätten wir jetzt schon eine weichen Übergang zwischen erfahrenen Parlamentariern und frischen Kräften. Vor der nächsten Wahl wird die Konkurrenz sicher größer sein und auch der personelle Schnitt wahrscheinlich schärfer ausfallen.

Da kommen sofort die beiden Landesvorsitzenden Marlies Fritzen und Sie ins Spiel …

Der Landesvorstand insgesamt steht sicher in der Pflicht, sich seiner Verantwortung stärker zu stellen. Aber der wird 2007 und 2009 jeweils neu gewählt, da müssen wir jetzt nicht über Personen spekulieren.

Doch. Werden Sie in vier Jahren noch Vorsitzender sein?

Im Moment macht es mir sehr viel Spaß. Die Grünen sind im Moment die Partei, die man mit 16 immer gründen wollte. Die Fenster sind offen, frische Luft strömt rein. Zurzeit sehe ich keinen Grund, mich nicht zur Wiederwahl zu stellen.

Auch als Spitzenkandidat?

Die Frage stellt sich nicht. Der erste Platz steht einer Frau zu …

Lütkes und Müller sind auch als Spitzen-Team aufgetreten.

Sowas ist sicher wieder möglich.

Mit Robert Habeck?

Ich schließe das nicht aus. Aber wir haben viele gute personelle Möglichkeiten. Und die Frage stellt sich erst in zwei oder drei Jahren. Das ist Zukunftsmusik. Jede und jeder, die/der in den nächsten Jahren LandesvorsitzendeR ist, muss sich darüber klar sein, in der Pflicht zu stehen, sich der öffentlichen Verantwortung stellen zu müssen. Ob die Partei das annimmt, wird sich dann zeigen. Verschwiemelt genug formuliert?

In der Tat. Der frühere und auch wieder potenzielle Koalitionspartner SPD ist mit dem Neuanfang da weiter. Innenminister Ralf Stegner will Parteichef werden und unausgesprochen auch Spitzenkandidat.

Stegner ist seit zehn Jahren im Kabinett, sollte er 2010 Ministerpräsident werden, regiert er bereits 15 Jahre. Das nenne ich nicht unbedingt einen Neuanfang.

Wäre dennoch auch mit Stegner Rot-Grün eine Option?

Aus heutiger Sicht würden wir in einen eigenständigen Wahlkampf ziehen, also ohne Koalitionsaussage. Mit der CDU hier ist, anders vielleicht als mit moderneren Landesverbänden, derzeit für die Grünen kein Staat zu machen. Andererseits ist die SPD als Koalitionspartner völlig in die Defensive geraten und bekommt keine programmatische Neuaufstellung hin. Die unionisiert sich immer mehr, Kurt Beck beweist das in Wort und Tat, Stegner in der Innenpolitik auch. Also: Rot-Grün ist eine Option, aber eben nur eine, nicht mehr „die“.