Der Klassensprecher

Was waren das für Zeiten, als die Bundeswehr noch den Auftrag hatte, die verweichlichten Wirtschaftswunderkinder anderthalb Jahre ordentlich ranzunehmen, und es im übrigen vor allem galt, die Panzer zu polieren, damit sie gut aussähen, sollte der Russe kommen. Der kam aber nicht.

Nun gibt es keine Wehrpflicht mehr, dafür müssen die Soldaten Deutschland am Hindukusch verteidigen. Eine psychisch schwierige Gemengelage, wie Oberstleutnant André Wüstner (Foto) im Interview mit der Welt ausführt. Der frisch gewählte Bundesvorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, der mit rund 200.000 Mitgliedern größten soldatischen Selbsthilfegruppe, sagt: „Der Reformprozess ist vergleichbar mit einem Trauerprozess. Da gibt es erst die Wutphase, dann die Frustration, und dann geht es langsam bergauf.“ Gemeint ist allerdings der Umbau zur Freiwilligenarmee, nicht etwa Trauer um die Opfer von Oberst Klein und anderer Vertreter der „Generation Einsatz“, die mit Wüstner nun erstmals den „Klassensprecher“ der Bundeswehr stellt, wie er seinen Kindern die neue Funktion erklärt. Der 39-jährige Panzergrenadier war selbst Kompaniechef in Afghanistan. Die Große Koalition betrachtet er mit Kennerblick: „Wir Soldaten haben ja gelernt, immer erst zu beurteilen: Wie ist die Lage der Konfliktparteien?“ Dabei werden die Aufklärungstechniken raffinierter: „Die meisten Soldaten haben früher nie einen Koalitionsvertrag gelesen. Jetzt bemerken wir zum ersten Mal breites Interesse.“

Denn sie haben Forderungen an die neue Regierung: mehr Anerkennung – und mehr Frauen. Das erinnert dann allerdings doch wieder an die Wehrpflichtigen, wie wir sie noch aus den Zugabteilen am Freitagnachmittag kennen. HEIKO WERNING