Moskauer Blessuren

Volker Beck (Grüne) hat sich in Moskau wissentlich und unnötig in Gefahr begeben – das meint der CDU-Abgeordnete Andreas Schockenhoff. Rechtfertigt er damit die homophobe Gewalt?

VON JAN FEDDERSEN

Andreas Schockenhoff bleibt bei seiner Meinung – der Empörung der Grünen und anderer zum Trotz: Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck, in Moskau vorigen Samstag Opfer homophober Gewalt geworden, habe diese bewusst riskiert. Ließ gestern früh der baden-württembergische Abgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag mitteilen. Der taz gegenüber bekräftigte er seine Kritik an Volker Beck.

Dieser hatte in der russischen Hauptstadt an einer Konferenz gegen Homophobie teilgenommen – und zugleich mit anderen an einer nicht genehmigten Demonstration Homosexueller. Bei dieser Gelegenheit, ausweislich der Fernsehbilder, wurde er vor Attacken skinheadiger, nationalistischer oder rechter Krawallmacher nicht geschützt, vielmehr von einem Stein sowie von einem Faustschlag verletzt.

Schockenhoff nun warf, grob gesprochen, Beck Polittourismus vor, der ihm nur selbst nütze – nicht aber dem Anliegen dienlich sei, welches Beck vorgebe befördern zu wollen. Im Laufe des Vormittags wurde der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union seiner Worte wegen harsch angegangen: „Skandalös“ nannte Walter Kolbow, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, dies; Renate Künast und Fritz Kuhn, Fraktionschefs der Grünen, fanden Schockenhoffs Äußerungen gar „beschämend“. Er habe die gewalttägigen Übergriffe legitimiert.

Folgen einkalkuliert

Das aber bestreitet der Gescholtene: „Es ist empörend und skandalös, dass Volker Beck geschlagen wurde. Ich füge aber hinzu, wenn die Moskauer Polizei sagt, sie könne eine Demonstration nicht schützen, dann setzt man sich mutwillig einer Gefahr aus.“

Sei es nicht eines Mitglieds der politischen Spitze der Bundesrepublik würdig, öffentlich Präsenz zu zeigen – gerade in Moskau, der Stadt, in der die postsozialistische Dissidenz in der Person Andrei Sacharows prominent wurde? „Wie würde es wohl hier beurteilt werden, wenn ausländische Politiker sich an die Spitze einer verbotenen Demonstration setzen würden?“ Schockenhoff beteuert, Beck und die Seinen hätten in Moskau das Demonstrationsverbot verurteilen können – im Sinne der Meinungsfreiheit. Aber gehört zu der nicht auch das Recht auf öffentliche Manifestationen, etwa in Form einer Demonstration oder eines, wie Sonnabend an der Moskwa, transparentlosen Umzugs? „Ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass alle Kritik zu äußern, wichtig und richtig sein mag. Aber wenn eine Demonstration nicht genehmigt wird, weil der Schutz von deren Teilnehmern nicht gewährleistet sei, dann kann man das öffentlich in Zweifel ziehen, aber dazu habe ich von Herrn Beck nichts gehört.“

Tatsächlich wird innerhalb der grünalternativen Szenen Becks Auftritt in Moskau als traditionsbewusst empfunden – als Akt des zivilen Ungehorsams wie als Geste internationaler Solidarität. 1955 die Eroberung eines für hellhäutige Passagiere reservierten Omnisbusplatzes durch die afroamerikanische Bürgerin Rosa Parks; Günter Wallraffs Selbstankettung im Athen der Militärdiktatur 1974; Petra Kellys „Schwerter zu Pflugscharen“-Friedensdemo 1983 in Ostberlin oder die Selbstverbrennung Jan Palachs 1969 in Prag gegen das sowjetische Okkupationsregime: In diesen Reigen wollen Grüne die Moskauer Homoaktion eingeordnet wissen.

Moskaus Homos uneins

Unter russischen Homoaktivisten war die Straßenaktion freilich nicht unumstritten: Die einen wollten partout den Opportunismus der Moskauer Stadtregierung den Rechten gegenüber kenntlich machen, andere gaben zu bedenken, dass Krawall niemandem nütze, vor allem nicht ihnen, den russischen Lesben und Schwulen. Weiter hieß es, mit dem von Ausländern unterstützten öffentlichen Auftreten würden die Mühen, als Schwule und Lesben überhaupt sichtbar werden zu können, sacht torpediert. Andere hingegen loben das Engagement von Politikern wie Beck – verwöhnt durch etliche Kampferfolge und gewöhnt an eventhafte Protestformen.

Der Vorfall soll ein diplomatisches Nachspiel haben, geht es nach dem Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Jörg van Essen. Der forderte die Regierung auf, in Moskau vorstellig zu werden: „Das muss gegenüber der russischen Regierung thematisiert werden.“

Für Freitag ist vor der russischen Botschaft in Berlin zu einer Protestdemo aufgerufen. Und in zwei Wochen lockt die nächste Soliaktion: In Warschau, wo der CSD noch nicht erlaubt wurde – und ein katholischer Bürgermeister Schwule am liebsten zum Teufel schicken würde.