Hochwasser übt weiter Druck aus

ODER Das Hochwasser an der Oder geht nur langsam zurück. Der Warthe-Scheitel steht noch bevor

„Man kann als Konsequenz doch nicht die Deiche immer höher bauen“

UMWELTSCHÜTZER TOM KIRSCHEY

Die Hochwasser-Situation in Brandenburg entspannt sich nur langsam. „Für eine Entwarnung ist es noch zu früh“, sagte Ingo Decker, Sprecher des Brandenburger Innenministeriums, am Dienstag. Auch wenn die Pegelstände auf dem Großteil des brandenburgischen Oderabschnitts derzeit sinken würden und im südlichen Oderbereich die Krisenstäbe ihre Arbeit eingestellt hätten, seien am Scheitelpunkt, der in Richtung Stettin ziehe, noch steigende Pegel zu erwarten. „Und dort, wo der Scheitelpunkt schon vorbei ist, steht das Wasser noch sehr hoch. Damit ist auch der Druck auf die Deiche sehr groß.“

In der vergangenen Woche ist der Pegel der Oder stark angestiegen, einige Landkreise in Brandenburg riefen die höchste Alarmstufe 4 aus. Auf den Deichen wurden rund um die Uhr Deichläufer eingesetzt, um mögliche Brüche schnell zu entdecken; unsanierte Deichabschnitte wurden mit Sandsäcken gesichert. Mittlerweile herrscht maximal noch Alarmstufe 3. Doch eine ursprünglich für Nachmittag erwartete weitere Senkung wurde am Dienstag auf den Abend verschoben. „Im günstigsten Fall werden wir mit dem Hochwasser noch mehrere Tage zu tun haben“, sagt Decker. Auch der Scheitelpunkt der Warthe, die bei Kostrzyn in die Oder fließt, steht noch aus.

Wann die Deiche wieder freigegeben werden, ist daher noch nicht abzusehen. „Es hängt zum einen von der Wetterlage ab, wie schnell die Deiche trocknen können“, erklärt Frauke Zelt, Sprecherin des Brandenburger Landesumweltamtes. Auch zeige sich erst nach dem Rückzug des Wassers, wie groß die entstandenen Schäden sind. Für die Zeit der Reparatur könnten die Deiche zunächst gesperrt bleiben.

Eine politische Aufarbeitung des Hochwassers soll es nach Angaben des Innenministeriums erst geben, wenn die Pegel wieder auf normalem Niveau sind. Dabei wird es wohl nicht nur um einsatztaktische Fragen gehen. In den vergangenen Tagen hat auch eine grundsätzliche Debatte über Hochwasserprävention begonnen. Umweltschützer kritisieren, dass seit der letzten großen Flut 1997 zwar die Deiche verstärkt, aber kaum zusätzliche Überflutungsflächen geschaffen wurden. „Der Deichbau war in der Vergangenheit nicht nur die zentrale, sondern fast die einzige Maßnahme, die Brandenburg forciert hat“, sagt Tom Kirschey, Vorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu) Brandenburg. Angesichts des Klimawandels würden häufiger starke Hochwasser prognostiziert werden. „Man kann als Konsequenz doch nicht die Deiche immer höher bauen“, kritisiert er. Die Flüsse würden statt enger Grenzen Möglichkeiten zur Ausbreitung benötigen.

Dazu kommt eine weitere Nebenwirkung der Deiche: Biber bauen darin ihre Behausungen. Politiker schoben zuletzt die Schuld an Deichbrüchen zunehmend auf die Tiere. Kirschey schlägt daher, wenn schon an einigen Orten Deiche errichtet werden müssten, ein anderes, an der Elbe erprobtes Konzept vor. In die Deiche dort seien Betonkästen gebaut worden, die von den Bibern dauerhaft zum Nestbau angenommen würden. Dies verhindere, dass Löcher entstehen, die einen Bruch auslösen könnten. SVENJA BERGT