„Das hat uns alle schockiert“

GAZA-AKTIVISTEN Man hat mit Konfrontation gerechnet, aber nicht, dass Israel Tote in Kauf nimmt, sagt der Arzt Matthias Jochheim

■ Jahrgang 1949, ist Arzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapeut in Frankfurt/Main. Seit 2001 gehört er zum Vorstand der Organisation IPPNW, der Ärzte gegen den Atomkrieg.

taz: Herr Jochheim, Sie waren am Montag auf dem Schiff „Marvi Marmara“. Was ist dort um halb fünf Uhr am Morgen passiert?

Matthias Jochheim: Ich war in der zweite Ebene unter Deck. Ich habe explodierende Granaten gehört. Es entstand in diesem Moment sofort panikartige Aufregung.

Wussten Sie in diesem Moment, dass das Schiff von israelischen Soldaten gestürmt wird?

Nein. Das habe ich erst realisiert, als Sanitäter Verletzte in den Aufenthaltsraum brachten, der als provisorisches Lazarett diente.

Waren darunter israelische Soldaten?

Ja, drei.

Wann war das?

Das weiß ich nicht genau. Aber ich schätze, dass sie dort etwa eine Stunde lang lagen.

Hatten diese Soldaten Wunden, die von Äxten oder Messern stammen konnten?

Nein. Einer konnte sich allerdings nur sehr mühsam bewegen. Und alle drei waren offenbar in Schockzustand.

Die drei Soldaten waren in Gewahrsam der Pro-Gaza-Aktivisten?

Ja.

Wurden diese drei Soldaten ordentlich behandelt?

Ja, sie wurden nicht misshandelt oder geschlagen. Sie wurden ja auch nach etwa einer Stunde freigelassen.

Haben Sie als Arzt Verletzte behandelt?

So weit es ging, ja.

Haben Sie Tote gesehen?

Ja, im Vorraum dieses Aufenthaltsraumes waren drei Tote aufgebahrt.

Konnte man erkennen, woran sie gestorben sind?

Sie sind an Schussverletzungen gestorben, teils an äußeren, teils an inneren Blutungen.

Herr Jochheim, Sie engagieren sich seit längerem für die Aufhebung der Gaza-Blockade. Hätten Sie sich an dieser Aktion beteiligt, wenn sie gewusst hätten, wie sie endet?

Man muss dazu sagen, dass das Free-Gaza-Movement diese Aktion organisiert hat. Ich habe daran nur teilgenommen. Aber: Eine Aktion, bei der so viele Menschen sterben, kann man nicht als Erfolg bezeichnen. Wir hatten Konfrontationen einkalkuliert. Aber nicht, dass die Israelis von Anfang an Tote in Kauf nehmen würden. Das hat alle überrascht und schockiert. Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir uns an der Aktion nicht beteiligt. Die IPPNW ist eine friedliche Organisation, die Leben schützen will und nicht in Gefahr bringen will. Wir hatten damit einfach nicht gerechnet.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE