Vom Mond zum digitalen Wunderland

HIPPEN empfiehlt Auf dem internationalen Filmfest Emden-Norderney werden bis zum 9. Juni 89 Filme aus 23 Ländern gezeigt. Ein Höhepunkt ist „Exit Through The Gift Shop“

Wie wohl kein anderes Filmfest in Norddeutschland wird dieses vom einheimischen Publikum besucht und geschätzt

VON WILFRIED HIPPEN

Jedes Filmfest hat seinen eigenen Geschmack. Und im Laufe der Jahre verfeinern die Organisatoren und Programmgestalter diesen so, dass der Zuschauer sich auch nach Jahren noch genau daran erinnern kann, ob er etwa eine schräge US-amerikanische Dokumentation über extrem obszöne Witze in Oldenburg oder einen Spielfilm über den letzten englischen Scharfrichter, der es dann leider nie in die deutschen Kinos oder Fernseher geschafft hat, nur in Emden gesehen haben kann. Das Filmfest Emden-Norderney wird jetzt schon zum 21. Mal veranstaltet, und wieder wird man große US-amerikanische Filme oder stilistisch hoch ambitionierte Arthouse-Produktionen hier vergeblich suchen. Wie wohl kein anderes Filmfest in Norddeutschland wird dieses vom einheimischen Publikum besucht und geschätzt, und so ist das Programm hier eher bodenständig als feingeistig ausgerichtet.

Dem entspricht eine Vorliebe für das angelsächsische Kino, und in der Programmschiene „New British & Irish Cinema“ kann man jedes Jahr die neue Ernte dieser Filmkulturen sehen. Der neue Mike Leigh, Ken Loach oder Stephen Frears wird dabei zwar regelmäßig von Cannes oder einem anderen A-Festival weggeschnappt, aber dafür bekommt man in Emden eine breite Übersicht über die Jahresproduktion. Diesmal werden etwa neun neue Filme aus Großbritannien und Irland gezeigt, darunter einer der seltsamsten Filme des Festivals: Bei „Exit Through The Gift Shop“ ist nicht einmal sicher, ob der Street-Art-Künstler Banksy wirklich, wie angegeben, sein Regisseur ist. Die Dokumentation über die Geschichte der illegalen Graffitikunst und die halsbrecherischen Aktionen, in denen die Künstler nachts ihre Werke an möglichst spektakuläre Orte malen, wird immer mehr zum Portrait des Dokumentierenden, eines besessenen Franzosen. Und nach einer irrwitzigen Wendung wird dieser schließlich zu einem kommerziell extrem erfolgreichen Instant-Künstler, der für alles steht, was seine Helden wie Banksy hassen.

Eine ähnliche Mischform aus Dokument und Inszenierung ist „Die Mondverschwörung“ von Thomas Frickel, der in der Reihe „Neue deutschsprachigen Filme“ gezeigt wird. Frickel dreht hier im Grunde eine Fortsetzung seines Films „Deckname Dennis“ von 1997. Darin hatte er einen wohlbeleibten, amerikanischen Fernsehjournalisten auf eine Reise durch Deutschland geschickt, und diesem so harmlos und nett wirkenden Ausländer erzählten die Menschen dann Dinge in die Kamera, die sie sonst wohl nie in der Öffentlichkeit von sich gegeben hätten. 13 Jahre später reist der gleiche Dennis Mascarenas nun wieder für Frickel durch die Lande, um die Vorliebe der deutschen für bizarre Verschwörungstheorien und esoterische Welterklärungen zu untersuchen. Dabei trifft er auf eine Ansammlung von durchgeknallten Spinnern, die auch immer dadurch so komisch wirken, dass sie ihm geduldig alles erklären und nicht merken, wie er sie mit seinen nur scheinbar so naiven Fragen entlarvt.

Eine gänzlich fiktive Dokumentation ist die französische Satire „8. Wonderland“, in der die Geschichte einer virtuellen Gemeinschaft erzählt wird, die im Chatroom versucht, die Welt zu verbessern, und sich dabei zu einer alternativen globalen Regierung entwickelt. Ein wenig wirkt der intelligente und witzige Film, als sei auch sein Drehbuch bei vielen Internet-Konferenzen entstanden. Es fehlt eine schlüssige Dramaturgie, stattdessen versandet er oft in einem Sammelsurium von Ideen. Aber schließlich ist das Internet auch ungeordnet, und so entsteht eben durch das Uneinheitliche die Einheit von Form und Inhalt.