Keine Gefahr erforderlich

VERBOTSGRUNDLAGE Der Bundesrat hält das Parteiverbot für eine rein präventive Maßnahme. Auf eine reale Gefährlichkeit der NPD komme es nicht an, eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Verbots betrachtet die Länderkammer als überflüssig

BERLIN taz | An welchem Maßstab wird das Bundesverfassungsgericht am Ende den Antrag messen? Das wissen die acht Richter des Zweiten Senats heute selbst noch nicht. Es wird sich erst aus ihren Beratungen ergeben. Der Bundesrat unterstellt jedenfalls niedrige Voraussetzungen für ein Verbot.

Im Grundgesetz heißt es: Parteien, die „darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“, sind verfassungswidrig. Das Grundgesetz sagt aber nicht, wie gefährlich eine Partei sein muss, um sie verbieten zu können.

Die letzten beiden Parteiverbote liegen lange zurück. Die kommunistische KPD wurde 1956 verboten, die rechtsextreme SRP bereits 1952. Damals war der Faschismus erst kurz besiegt, der Kalte Krieg tobte und noch war unklar, wie sich die westdeutsche Demokratie entwickeln würde. Damals verlangten die Richter nicht, dass von einer demokratiefeindlichen Partei eine konkrete Gefahr ausgeht. Das Parteiverbot galt als „Vorsorge für die Zukunft“.

Inzwischen ist die Bundesrepublik jedoch ein gefestigter demokratischer Staat. Alle Beobachter gehen davon aus, dass Karlsruhe über die Anforderungen an ein Verbot ganz neu nachdenken wird.

Der Bundesrat geht jedoch davon aus, dass die Kriterien im Vergleich zu den 50er Jahren nicht verschärft werden müssen. Es sei nicht erforderlich, dass von der NPD eine konkrete Gefahr ausgehe. Das Parteiverbot habe rein präventive Funktion, heißt es in dem Antrag. Die zuletzt schlechten Wahlergebnisse der NPD sprächen also ebenso wenig gegen ein Verbot wie die desolate Finanzlage der Partei.

Das Bundesverfassungsgericht hat in den 50er Jahren zwar eine „aktiv-kämpferische, aggressive Haltung“ der Partei vorausgesetzt, doch auch diese Hürde interpretiert der Bundesrat sehr moderat. Der NPD müssten keine Gewalttaten oder strafbaren Handlungen nachgewiesen werden. Vielmehr könne auch legales Verhalten zum Verbot führen, wenn die Ziele der Partei den Kern der freiheitlichen Demokratie gefährden. Wenn aber rechtswidriges Verhalten der NPD-Funktionäre und -Anhänger festzustellen ist, will der Bundesrat dies natürlich „erst recht“ gegen die NPD verwenden.

Für überflüssig hält der Bundesrat auch eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Verbots. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel sei nur bei Grundrechtseingriffen zu prüfen. Das Parteiverbot sei aber eine Maßnahme des Staatsorganisationsrechts. Sicherheitshalber wird im Antrag des Bundesrats dann die Verhältnismäßigkeit eines Verbots doch geprüft. Aber dabei wird die Prüfung so modifiziert, dass keine Bedenken gegen ein Verbot entstehen.

Der Bundesrat nimmt auch in den Blick, dass die NPD nach einem Verbot noch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen könnte. Das Straßburger Gericht hat schon viele Parteiverbote, insbesondere in der Türkei, beanstandet und dort auch eine „unmittelbare Gefahr“ für die Demokratie gefordert. Der Bundesrat ist jedoch davon überzeugt, dass dieser Maßstab für Parteien wie die NPD nicht gelte. Antidemokratische und rassistische Parteien könnten sich gar nicht erst auf die Europäische Menschenrechtskonvention stützen.

Nur an einem Punkt nimmt der Bundesrat Rücksicht auf Straßburg. Er beantragt keinen automatischen Verlust der NPD-Parlamentsmandate nach einem Parteiverbot. Derartiges hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon mehrfach beanstandet. CHRISTIAN RATH