Die Reform gerät ins Wanken

Nach dem Kopfschütteln der Bildungsexperten zur geplanten Allmacht der Länder wird die Kritik an der Föderalismusreform aus der SPD lauter. Der gesamte Entwurf kann daran scheitern

VON CHRISTIAN FÜLLER

Es gab ganz ungewöhnlich scharfen Protest. Der Lehrerverband sah die Schule verraten, die Kultusminister taten sich zusammen, die sozialen Demokraten wandten sich erbittert gegen den gefundenen Schulkompromiss. Auch die Kirche war nicht zufrieden – die ganze Nation war gespalten darüber, wie man die Bildung regeln solle. Die neue Verfassung drohte zu scheitern.

Diese Streiterei trug sich nicht am Montag im Bundestag zu, wiewohl man sich dort ganz ähnlich fetzte. Sondern im Januar 1919 in der Nationalversammlung. Wenn es um Bildung geht, herrscht stets größte Aufregung. So auch diesmal wieder, da die große Koalition durch eine Verfassungsänderung dem Bund alle Kompetenz für Bildung nehmen will. Das Hochschulrahmengesetz soll wegfallen, die gemeinsame Bildungsplanung auch, selbst der Hochschulbau wird an die Länder delegiert. Und dem Bund wird – wie berichtet – untersagt, den Ländern Finanzhilfen etwa für Ganztagsschulen zu geben. Da schütteln die Experten ihre Köpfe.

„Läse ein Außerirdischer den Entwurf, müsste er Deutschland für ein Agrarland halten“, sagte der Jurist Hans Meyer von der Berliner Humboldt-Universität in Hinblick auf Förderungen im Landwirtschaftsbereich. Der hannoversche Föderalismusforscher Hans-Peter Schneider nennt den Anspruch der Länder, die Bildung von der Krabbelgruppe bis zum Examen bestimmen zu wollen, „ohne Beispiel und nirgendwo auf der Welt verwirklicht“. Die Bildung eigne sich „daher am allerwenigsten zu einer strikten Trennung von Bundes- und Landeskompetenzen“.

Das sieht Manfred Erhardt, Ex-Generalsekretär des Stifterverbandes, ganz anders. Deutschland habe sich „zum nivellierenden Bundesstaat entwickelt“, schimpft er auf den Berliner Einfluss bei Bildung und Hochschulen. Und geißelt die „deutsche Sehnsucht nach Einheitlichkeit durch gesamtstaatliche Vorgaben“.

Doch was durch die Machtübernahme einer großen Koalition im Bund wie eine sichere Sache aussah, steht nun mehr und mehr auf tönernen Füßen – die garantierte Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern der Gesetzgebung. „Für die Reform, wie sie jetzt geplant ist, wird es keine Zweidrittelmehrheit im Bundestag geben“, sagte die Vorsitzende des Bildungsausschuss, Ulla Burchardt (SPD), der taz.

Die Mehrheit im Bundesrat wird dagegen wohl kein Problem werden, obwohl die kleinen Länder wie Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt immer wieder böse Kritik üben. Im Gesetzgebungsverfahren aber wollen sie sich zurückhalten, sprich zustimmen – wie Jens Bullerjahn (SPD), Vizeministerpräsident in Magdeburg, versicherte. Prinzipiell ist er natürlich auch der Ansicht, dass Bildungsföderalismus keinen Sinn macht.

Im Bundestag dagegen finden sich dagegen neben der Vorsitzenden des Bildungsausschusses weitere scharfe Kritiker in den Reihen der Sozialdemokraten. Sie sind – wie Burchardt – sogar bereit, wegen der Bildungsfrage die Zweidrittelmehrheit im Bundestag für die gesamte Föderalismusreform zu gefährden. Das wäre ein „politischer Tsunami“, sagte Burchardt der taz. Deswegen sei es besser, man habe sein Rettungszeug dabei.

Die Union im Bundestag lässt sich bisher davon nicht abschrecken und ist voll auf Linie. „Die Föderalismusreform schafft klare Verantwortlichkeiten und nimmt die Länder wettbewerblich in die Pflicht“, ließen die zuständigen Abgeordneten Ilse Aigner (CSU) und Marcus Weinberg (CDU) mitteilen. Das soll heißen: Änderungen nicht nötig. Gewichtiger ist allerdings die Stimme der Länder. Alois Glück (CSU) etwa, bayerischer Landtagspräsident, will sogar das von den Fachleuten einhellig als unsinnig eingestufte völlige Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern beibehalten – und erklärt dies zur Grundlage der Reform. Sprich: Ohne Kooperationsverbot keine Reform.

Das könnte heikel werden. Denn in den Reihen der Sozialdemokraten sind ihrerseits nicht wenige, die an dieser Stelle das Reform-Minimum am Kompromiss erklären – allerdings gerade andersherum. Sprich: Entweder das Verbot fällt oder die ganze Föderalismusreform fällt.

Interessanterweise hat auch die SPD-Fraktionsspitze, Peter Struck und Olaf Scholz, das Verbot von Finanzhilfen des Bundes öffentlich quasi als Unfug bezeichnet.

Unter anderem finanziert der Bund das milliardenschwere Ganztagsschulprogramm für die Länder mit. Und gerade wird zwischen Bund und Ländern verhandelt, wie man mit Geldspritzen aus Berlin den völlig überforderten Ländern beim Ansturm von rund 400.000 zusätzlichen Studenten helfen könnte.

Auch öffentlich hat die Debatte um die Föderalismusreform durch die hitzig erörterte Bildungsfrage wieder an Fahrt gewonnen. Nun steigen auch die Politdinosaurier wie Klaus Kinkel (siehe Interview) oder Roman Herzog in die Bütt. „Der Leitwert in einem freiheitlichen Gemeinwesen heißt Vielfalt“, sagt er, „mehr Einheitlichkeit braucht es nicht.“

Allerdings ist nicht ganz klar, von welchem Land Herzog eigentlich spricht – Deutschland kann es eigentlich nicht sein, denn dort herrscht, beginnend mit den preußischen Kulturkämpfen um die Bekenntnisschule über den erbitterten Streit um die Grundschule bis zu hin zum großen Trauma Gesamtschulstreit eigentlich immer Vielfalt, genauer „Chaos im Schulrecht“.

Mitarbeit: Sascha Tegtmeier