BETTINA GAUS über FERNSEHEN
: Der alte Mann und die Schüssel

Mancher sieht im TV-Programm eine moralische Bedrohung. Dafür habe ich Verständnis

Viele erwachsene Kinder treffen sorgfältige Vorbereitungen, wenn der Besuch von Eltern oder Schwiegereltern ins Haus steht. Manches wird weggeräumt: „Nimmst du deine Pille jetzt bitte endlich mit ins Kinderzimmer und lässt sie nicht im Bad herumliegen!“ Anderes wird hervorgeholt: „Was soll das heißen – du weißt nicht, wo die Kristallkaraffe ist, die sie uns zu Weihnachten geschenkt haben?“ Der Tonfall, in dem solche Sätze zwischen zusammengebissenen Zähnen herausgezischt werden, dürfte weltweit derselbe sein. Nur die Gegenstände, die den Familienfrieden bedrohen, sind regional unterschiedlich.

Nicht sorgfältig genug war ein Ehepaar in Saudi-Arabien. Der Vater der Frau, ein islamischer Prediger, entdeckte bei einem Besuch im Haus seiner Tochter eine Satellitenschüssel. Und das, obwohl ihm der Schwiegersohn fest versprochen hatte, unislamische Fernsehkanäle niemals anzuschauen! Der Gast griff hart durch. Er zwang seine Tochter, ihren Ehemann zu verlassen und mit den Kindern wieder ins Elternhaus zurückzukehren.

Dumm gelaufen. Hierzulande eignet sich eine solche Meldung gut, um mal wieder den Kopf zu schütteln über islamistische Verbohrtheit. Wie kann man sich bloß über ein Fernsehprogramm derart aufregen! Wenn nicht gerade der Papst verspottet wird wie neulich bei MTV, dann gibt es dafür nun wahrlich keinen Anlass. Doof sind viele Soaps und Filme natürlich, aber doch völlig harmlos. Dieser religiöse Fanatismus in weiten Teilen der arabischen Welt ist schon sehr beängstigend.

Oder etwa nicht? Ich versuche mir vorzustellen, wie hierzulande wohl die öffentliche Diskussion verlaufen würde, wären die beliebtesten Serienheldinnen tief verschleiert, Scharia und heiliger Krieg das Wertefundament jedes abendfüllenden Films und die Todesstrafe für Ehebruch eine Selbstverständlichkeit. Da brauchte es gar keinen katholischen Priester, um den Untergang des Abendlandes zu prophezeien. Annette Schavan genügte.

Ein Unterhaltungsprogramm, das dem religiösen und sittlichen Normensystem der Gesellschaft diametral widerspricht, ist Alltag in vielen arabischen Ländern. Wer sich dort gut auskennt, dürfte sich längst daran gewöhnt haben, dass das Schicksal der Jungen und Ruhelosen („The young and the restless“) ebenso wie das der Kühnen und Schönen („The bold and the beautiful“) selbst in abgelegenen Kleinstädten verfolgt werden kann. Für Leute wie mich, die nur selten in arabischen Ländern unterwegs sind, ist es ein Anlass, sich die Augen zu reiben.

Was tut man in einem winzigen Ort in Syrien abends im Hotel? Keine Frage: Man kuschelt sich gemütlich ins Bett und schaut „James Bond“. Die arabischen Untertitel sind ein bisschen störend, aber sonst ist alles genau wie in Tucson oder Tübingen. Auch die Bond-Girls.

Es hat sich herumgesprochen, dass Internet und Satellitenfernsehen es diktatorischen Regimen erschweren, Zensur auszuüben. Es hat sich auch herumgesprochen, dass das Westfernsehen das Weltbild der DDR-Bevölkerung erheblich beeinflusst hat. Schön, schön. Aber was sollen gläubige Muslime eigentlich tun, wenn sie das Fundament ihrer Werte durch ausländische Programme in seinen Grundfesten erschüttert sehen? Ganz unabhängig von tages- und medienpolitischen Fragen?

Es wäre dem saudi-arabischen Ehemann zu wünschen gewesen, dass er das verräterische Gerät besser versteckt hätte. Dann hätte er nach dem Verwandtenbesuch entspannt mit seiner Frau einen netten Film genießen können, statt jetzt andere islamische Religionsgelehrte um Vermittlung im Familiendrama bitten zu müssen. Hier wird nicht für ein Verbot von Satellitenschüsseln oder Internet-Cafés plädiert. Nur dafür, einem islamischen Großvater ebenso viel Verständnis entgegenzubringen wie einem nichtislamischen.

Beide haben halt Angst um das Seelenheil ihrer Angehörigen. Das kann man lästig finden. Ungewöhnlich ist ein derartiges Verhalten älterer Menschen aber nicht. Und auch weder lustig noch radikal.

Fragen zum Programm? kolumne@taz.de MORGEN: Jan Feddersen PARALLELGESELLSCHAFT