UNTER BRILLENTRÄGERN
: Das Markenzeichen

„Jetzt ist es endgültig aus und vorbei“, sagte er

Freitagnacht in meiner Stammkneipe in Prenzlauer Berg. Philipp sitzt niedergeschlagen an der Theke. „Was ist los mit dir?“, frage ich ihn. „Jetzt ist es endgültig aus und vorbei“, sagt er. „Eigentlich ist es ja schon lange vorbei. Ich wollte es nur nicht wahrhaben.“

„Was ist aus und vorbei, Philipp?“ – „Na schau dir doch einmal die Leute an. Schau genau hin.“ Ich sah mich um, sherlockholmisierte die Gäste. Alles schien so wie immer zu sein. „Was ist mit den Leuten“, fragte ich Philipp. „Man, schau doch hin. Siehst du denn nicht, dass 80 Prozent der Leute hier eine Nerd-Brille tragen?“ Ich sah mich abermals um. Und tatsächlich, Philipp hatte recht: Nahezu jeder Gast – ganz egal ob blond, brünett, breitschultrig oder schmächtig – trug eine dieser Woody-Allen-Gedächtnisbrillen. Ich verstand jedoch nicht, weshalb Philipp deswegen so traurig war, und fragte ihn, wo denn jetzt das Problem sei.

„Wo mein Problem ist, fragst du da noch. Man, manchmal stehst du echt auf der Leitung. Ich war vor zehn Jahren einer der Ersten, der solch eine Brille trug. Diese Brille ist zu meinem Markenzeichen geworden. Und jetzt trägt sie jeder Idiot. Verstehst du, ich kann diese Brille nicht mehr tragen, weil inzwischen jedes Arschloch solch eine Brille trägt. Ich muss mich von meiner geliebten Brille trennen. Zehn Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Ich bin am Trauern. Verstehst du mich jetzt?“ Ich verstand: Philipp hatte sein Alleinstellungsmerkmal verloren und durchlebte gerade eine tiefe Identitätskrise. „Mein lieber Philipp“, sagte ich, „wir sollten noch heute Nacht deine Brille auf dem Fußboden zertreten und vernichten. So kann es wirklich nicht mehr mit dir weitergehen, du musst einen Neuanfang wagen. Töte deine Brille, und zwar sofort!“ – „Verarscht du mich jetzt?“ – „Nein, ich würde niemals auf die Idee kommen, dich zu verarschen.“ ALEM GRABOVAC