Übermächtige Leidenschaften

OPER Daniel Barenboim dirigiert im Schillertheater „Il trovatore“ von Verdi, mit Placido Domingo und Anna Netrebko in den Hauptrollen, denen das Publikum freundlich die verdiente Ehre erweist

Die eigentliche Sensation ist jedoch Gaston Rivero. Kurzfristig musste der junge Tenor einen erkrankten Kollegen ersetzen. Er schert sich nicht im Geringsten um die großen Namen neben ihm

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Placido Domingo war immer mehr als nur die Superstimme der Drei Tenöre. Er hat seine Rollen mit der ganzen Person ausgefüllt und zu Höhepunkten des Musiktheaters geführt. Er ist heute 72 Jahre alt, mit Ehrungen und Preisen überhäuft, Intendant der Oper von Los Angeles – und steht immer noch auf der Bühne.

Am Freitag ließ er sich für seinen Auftritt in der Staatsoper im Schillertheater als Graf Luna in Verdis „Il trovatore“ feiern. Begeisterung im Saal jedoch klingt anders. Das Berliner Premierenpublikum hat sehr freundlich einem wirklich großen Musiker und Künstler die Ehre erwiesen, die er verdient. Mehr nicht.

Domingo war da, Graf Luna nicht. Er war weder zu hören noch war er zu sehen. Dass ein 72 Jahre alter Mann die Rolle eines jungen, grausamen und am Ende doch tragisch gebrochenen Edelmanns nicht mehr mit der vibrierenden Wärme des Baritons singen kann, für den Verdi sie geschrieben hat, wäre zu verzeihen. Domingos Stimme klingt brüchig und hart, traurig stimmt jedoch, dass er diese natürlichen Folgen des Alters nicht ausgleichen kann durch die Schauspielkunst, die ihn ebenso berühmt gemacht hat wie seine Stimme.

Er spielt nicht mehr mit. Er schaut nur noch zu, was die anderen um ihn herum treiben, nachsichtig und milde, weil sie sich so viel Mühe geben. Eine dieser Eleven des väterlichen Großmeisters ist Anna Netrebko. Er mochte sie schon immer sehr, sein Auftritt mit ihr zusammen auf der Berliner Waldbühne vor sieben Jahren ist Legende. Aber auch sie spielt nicht richtig mit.

Anders als Domingo kann sie noch immer fabelhaft singen, makellos in allen Lagen und Lautstärken. Aber sie weiß nichts damit anzufangen. Sie soll Leonora sein, eine junge Frau, die sich verliebt hat in einen jungen Mann, der vor ihrem Fenster Lieder zur Laute singt. Domingos Graf Luna ist sein Todfeind. Um ihren Liebsten, den Troubadour, zu retten, ist sie am Ende sogar bereit, ihr eigenes Leben zu opfern.

All diese Stationen der Tragödie steht Anna Netrebko tapfer durch, aber das ganze Elend scheint sie vor allem zu langweilen. Sie ist diese Leonora nicht, sie bewegt nichts und niemanden, und manchmal klingt auch ihre Wunderstimme so, als sei sie nicht ganz bei sich. Sie fängt dann an, grundlos zu flackern und zu tremolieren, was selbst bei Anna Netrebko nicht schön ist.

Das mag nun daran liegen, dass ihr diese Rolle niemand erklärt hat. Die Staatsoper hat in Kooperation mit den Wiener Festwochen Philipp Stölzl angeheuert. Philipp Stölzl ist kein Regisseur. Er ist ein Fachmann für die multimediale Vermarktung fertiger Kunstwerke, zum Beispiel der Songs von Rammstein. Er dreht außerdem Filme. Das Bergabenteuer „Nordwand“ ist von ihm und „Goethe!“.

Irgendein dummer Zufall hat ihn an die Oper gebracht, und seither hinterlässt er hier eine Schneise der Verwüstungen. In Berlin ist sein Oberammergauer Parsifal in Pappmachee an der Deutschen Oper in grauslicher Erinnerung.

Ganz so schlimm ist sein „Trovatore“ nicht. Er hat diese „Popmusik“, wie er Verdi beschreibt, in einen Clip im Stil von John Tenniels Illustrationen zu Lewis Carols „Alice in Wonderland“ verpackt. In dem aufgeschnittenen Würfel seiner Bühne purzeln lauter lustige Puppen herum, aber eine Inszenierung dieses abenteuerlich wüsten und blutigen Stücks ist es nicht. Es braucht keine Dekoration, sondern Figuren, die furchtbar an der Last ihrer übermächtigen Leidenschaften scheitern.

Verdi hat sie immer geliebt, diese Opfer ihres Schicksals, hier ganz besonders. Eine von ihnen, die Zigeunerin Azucena, hat Stölzl in einen wahren Käfig von Kostüm gesteckt, der nur ein weiß geschminktes Gesicht frei lässt. Trotzdem schafft es die junge Marina Prudenskaya, Mitglied des Ensembles, ihre Rolle so packend dramatisch gestalten, dass Anna Netrebko daneben ziemlich blass aussieht.

Die eigentliche Sensation ist jedoch Gaston Rivero. Der junge Tenor aus Uruguay musste kurzfristig einen erkrankten Kollegen ersetzen. Er schert sich nicht im Geringsten um die großen Namen neben ihm und auch nicht um Stölzl. Er füllt die Riesenrolle des Manrico, des Mannes mit der Laute, in den sich Anna Netrebko so gar nicht verliebt hat, mit der ganzen, glaubhaften Tragik aus, wie es einst Placido Domingo konnte. Nicht jedoch mit Domingos Stimme. Rivero hat seine eigene, individuelle, die er noch nicht immer vollkommen beherrscht. Aber zu hören war ein Musiker, der die Opernbühnen der Welt erobern wird. Zu hören war es, weil er Daniel Barenboim und die Staatskapelle an seiner Seite hatte. Barenboim dirigiert dieses Werk zum ersten Mal. Man hört seine Freude daran, in der scheinbaren Trivialität des Orchestersatzes die tiefe, menschliche Wahrheit zu entdecken, um die es Verdi ging. Man mag es „Popmusik“ nennen. Und Kummer mit Regisseuren ist Barenboim gewohnt.

■ Nächste Vorstellungen: 4., 7., 11., 15., 19., 22. 12. (alle ausverkauft, Restkarten an der Abendkasse)