OECD fordert mehr Druck auf Arbeitslose

Gutachten bescheinigt Deutschland soliden Aufschwung – und empfiehlt weniger Regulierung und Sozialleistungen

BERLIN taz ■ Die Deutschen kaufen wieder mehr ein und bringen so die Wirtschaft in Schwung. Der Effekt wird aber nur von Dauer sein, wenn die Rahmenbedingungen wirtschaftsfreundlicher werden, sagt zumindest die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Sie stellte gestern den „Wirtschaftsbericht Deutschland“ vor.

Die Länderprüfung erscheint alle 18 Monate und wird nach einem standardisierten Verfahren in allen 30 OECD-Mitgliedsländern durchgeführt. In der neuen Deutschlandstudie erwarten die OECD-Experten für 2006 ein Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent – exakt diesen Wert sagen auch führende deutsche Forschungsinstitute voraus.

Für das nächste Jahr rechnet die OECD wegen des Anstiegs der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent mit einem leichten Rückgang auf 1,6 Prozent. Wachstumsmotor sei nach wie vor die Exportwirtschaft. „Im Vergleich ist die Binnenwirtschaft immer noch schwach“, sagte OECD-Ökonom Eckhard Wurzel gestern, aber: „Der Konsum ist endlich angesprungen.“

Damit dies auch so bleibt, forderte der OECD-Experte weitere breit angelegte Reformen, die den Binnenmarkt stärken. Das lässt sich nach Ansicht der OECD vor allem mit weniger Regulierung in der Wirtschaft, mehr Druck auf Arbeitslose und einem Sparkurs bei den öffentlichen Haushalten erreichen.

Die Forderungen des OECD-Berichts gießen Öl ins Feuer der aktuellen Hartz-IV-Debatte, in der die Union Leistungen an Arbeitslose kürzen will, um Steuergelder zu sparen. „Wir empfehlen eine stringente Sanktionspolitik gegen ALG-II-Bezieher“, sagte Eckhard Wurzel. Als Beispiel für eine nach seiner Meinung bestehende „Überversorgung“ nannte Wurzel die Leistungen für Familien sowie fehlende Anreize für Arbeitslose, eine Arbeit aufzunehmen.

Die Einschätzungen der OECD-Ökonomen werden von Fachkollegen jedoch kritisiert. Die Empfehlungen würden schon lange praktiziert, die versprochenen Erfolge blieben aber aus. Denn: Grund für die schwache Nachfrage sei vor allem das niedrige Lohnwachstum.

Niedrige Löhne würden sogar das europaweite Wachstum gefährden. „In Italien müssten die Löhne um 12 bis 15 Prozent sinken, um mit den deutschen Löhnen konkurrenzfähig zu sein“, sagte Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Dadurch drohe eine europaweite Schwächung des Wirtschaftswachstums. TARIK AHMIA