Zweifel an der Freiheit

Ein neues Programm soll der CDU Orientierung geben. Bisher werden vor allem innere Widersprüche deutlich

KASSEL taz ■ Das Ziel ist anspruchsvoll: Ein neues Grundsatzprogramm soll her. Parallel zum Regierungsalltag will die CDU herausarbeiten, was sie gerne machen würde, wenn sie allein regieren könnte. Es gehe um „grundlegende Positionsbestimmungen“, sagte Hessens Ministerpräsident Roland Koch am Montagabend als Gastgeber der letzten Regionalkonferenz in Kassel. Doch von Klarheit kann noch keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Partei wirkt verwirrt. Die Wünsche, die von der CDU-Parteibasis geäußert wurden, hätten unterschiedlicher, widersprüchlicher kaum ausfallen können. Und Parteichefin Angela Merkel? Hörte hauptsächlich zu.

Natürlich gab es einige, die sich schnellere und härtere Reformen wünschten. Vor allem Mittelständler forderten mehr Bürokratieabbau, weniger Kündigungsschutz und überhaupt: weniger Rücksicht auf die SPD. Keine Regionalkonferenz verging ohne ausgiebige Klagen über das Antidiskriminierungsgesetz. So weit, so erwartbar. Interessanterweise jedoch verging aber auch keine Regionalkonferenz ohne Wortmeldungen, die auf DGB-Kongressen großen Beifall fänden. Die CDU müsse dafür sorgen, „dass der Abstand zwischen Arm und Reich nicht immer größer wird“, wünschte sich ein Thüringer am Montag. Andere ermahnten Merkel, darauf zu achten, dass „die kleinen Leute“ nicht unter die Räder geraten sollten. „Neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit“ – der von Merkel gewählte Arbeitstitel für das neue Programm flöße Wählern Angst ein, warnten viele – und manche klangen dabei so, als hätten sie selbst Angst vor noch mehr Freiheit.

Die von CDU-Politikern gern verkündete Behauptung, nur die SPD verhindere drastischere Reformen, erwies sich auf den Regionalkonferenzen als Legende. In vielen Beiträgen schimmerte die Erkenntnis durch, dass man es im letzten Wahlkampf mit der Freiheits- und Reformrhetorik übertrieben habe. Nach Paul Kirchhof sehnte sich jedenfalls kein Redner zurück. Über die Ursachen für das enttäuschende Ergebnis bei der Bundestagswahl wurde zwar nicht offen geredet. Aber langsam, langsam nähert sich die CDU einer ehrlichen Analyse ihrer Lage. Gut möglich, dass sich Merkel das sogar so wünschte. Warum sonst hätte sie zu Beginn der Programmdebatte 170 Fragen zu allen möglichen Themen verteilen lassen, statt Thesen vorzutragen? Das eigentlich Bemerkenswerte an der Programmdebatte ist die Wandlung der CDU: Aus dem einstigen Kanzlerwahlverein ist ein munterer Debattierzirkel geworden. Einen gemeinsamen Nenner findet Merkel bisher nur in oberflächlicher Abgrenzung zur SPD. „Wir sind nicht links oder rechts“, sagte Merkel, „wir sind die Volkspartei der Mitte.“ Für ein Programm reicht das noch nicht, aber das soll ja auch erst 2007 fertig sein. LUKAS WALLRAFF