Integration: Grün-grünes Pingpong

Grünen-Fraktionschefin Künast legt heute ein Integrationskonzept vor, das einen „Neuanfang“ und Pflichten für Migranten formuliert. Grünen-Parteichefin Roth sagt, eine Wende gebe es nicht, natürlich bleiben die Grünen „Anwälte der Migranten“

VON ULRIKE WINKELMANN

Die grüne Bundestagsfraktion will heute ein gut 13-seitiges Papier zur Integration Nichtdeutscher vorstellen. Mit dem Konzept „Perspektive Staatsbürger – Für einen gesellschaftlichen Integrationsvertrag“ möchten Fraktionschefin Renate Künast und der migrationspolitische Sprecher Josef Winkler für einen interkulturellen und einbürgerungsrechtlichen „Neuanfang“ werben. Dazu formuliert das Papier einen „Integrationsvertrag“ samt „Integrations-Fahrplan“.

In dem Papier, das der taz in einer allerdings noch nicht abschließenden Fassung vorlag, konstatieren Künast und Co zunächst einen jahrzehntelangen Mangel an „umfassenden integrationspolitischen Konzepten“, der auf die Realitätsverleugnung der politischen Mehrheiten im Einwanderungsland Deutschland zurückgehe. Auf zwei Seiten formulieren die Autoren dreimal, dass Migrantinnen und Migranten Bürger mit Rechten, aber auch mit Pflichten seien, die „ihren Teil zur Entwicklung des Landes beitragen“ sollten.

Gemäß „Fahrplan“ fordern die Grünen die Ausweitung aller Möglichkeiten, Deutsch zu lernen. Das Sprachkursangebot aus dem Zuwanderungsgesetz sei „ein Renner“, aber zu mager. Die Grünen wollen jedoch im Unterschied etwa zur Union keine Bestrafung bei Nichtteilnahme.

Durch die Bildungsstufen Kindergarten, Grund- und weiterführende Schule, Berufsausbildung, Uni deklinieren die Grünen einen Ausbau aller Fördermaßnahme für nicht deutschstämmige Kinder und junge Menschen durch. Dazu gehören ganztägige Betreuung ab dem ersten Lebensjahr, gleitender Übergang zwischen Kindergarten und Grundschule, Sprachtests für alle Vierjährigen, kein Ausschluss von Kindern, die zu wenig Deutsch können, aber dann obligatorische Kurse. Hinzu kommen Elternbeteiligung, nicht deutschstämmiges Personal, Islamunterricht auf Deutsch.

Schließlich fordern die Grünen das komplette kommunale Wahlrecht für Ausländer und die Streichung ausschließender Gesetze: So soll Mehrstaatlichkeit ermöglicht werden.

Die Grünen-Parteichefin Claudia Roth erklärte gestern der taz, Künasts Papier sei keinesfalls als „Wende oder Neuaufstellung“ zu verstehen, sondern als „Weiterentwicklung dessen, was wir Grüne seit Jahren bearbeiten“. Es bestehe „kein Grund für ein Selbstdementi“.

Roth widersprach damit Künast, die zu Wochenbeginn im Spiegel ihr Papier damit angekündigt hatte, dass die Grünen „auch Fehler gemacht“ hätten. Die Grünen lösten sich nun aus einer „Frontstellung“, in der die Konservativen „Fremdenfeindlichkeit geschürt“, die Grünen sich dagegen bloß immer als „Anwälte der Migranten positioniert“ hätten, erklärte Künast.

Roth sagte gestern zur taz, die Debatten über den Muslimtest sowie die rassistischen An- und Übergriffe der vergangenen Wochen hätten klar gezeigt, „dass wir Anwälte der Migranten sind und sein müssen“. Nach ein „paar guten Jahren“, in denen auch in der Union etwa mit Rita Süssmuths Einwanderungskommission Tauwetter eingekehrt war, „sind doch jetzt alle wieder in den Schützengräben drin“.

Deshalb soll, erklärte Roth, das Papier auch „keine vorauseilende schwarz-grüne Option sein.“ Dass die CDU gerade selbst den Begriff „Gesellschaftsvertrag“ für die Integrationspolitik entdecke oder sich über Islamunterricht Gedanken mache, sei „schön“, aber noch lange kein Zeichen von Annäherung.

Grundsätzlich sind Parteispitze und Parteirat mit dem Papier einverstanden. Auf ihren Wunsch sollte es bloß um ein Kapitel zur Verbesserung der Lage von Flüchtlingen ergänzt werden, womit sich gestern auch die Fraktion noch befassen wollte.