Deutsche Kinder werden Streber

PISA Die OECD sieht einen Fortschritt: Deutschlands Schüler werden besser und holen sogar die Finnen ein. In der Kategorie Sitzenbleiben sind sie bereits jetzt Pisa-Weltmeister

In Mathematik immer noch 2,5 Schuljahre hinter Schanghais Schülern

BERLIN taz | Jetzt sei mal Schluss mit den alten Begriffen, meinte die deutsche Bildungsdirektorin der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung (OECD), Barbara Ischinger, als sie am Dienstag die neue Studie vorstellte: Statt von Pisa-Schock sollte man künftig von Pisa-Fortschritt sprechen.

In der Tat haben sich Deutschlands Schüler seit dem ersten Test vor 13 Jahren an die Top Ten herangearbeitet. In allen drei Bereichen – Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften – erzielen sie mittlerweile Ergebnisse, die deutlich über dem OECD-Durchschnitt liegen. In Mathe, dem Schwerpunktbereich der aktuellen Erhebung, beträgt der Lernvorsprung deutscher Schüler gegenüber dem OECD-Mittel sogar ein halbes Schuljahr. Sie liegen damit in einer Gruppe mit den schlechter gewordenen Finnen und den Polen, die sich weiter verbesserten.

Zum fünften Mal hatte die OECD den internationalen Schülervergleich orgnisiert, an dem ein halbe Million Fünfzehnjähriger aus 65 Staaten und Regionen teilnahmen. Die leistungsstärksten Nachwuchsmathematiker leben demnach in Asien. Hundert Pisa-Punkte, etwa zweieinhalb Schuljahre, trennen Deutschland im Mittel vom Spitzenreiter Schanghai. Zur Spitzengruppe gehören auch Singapur, Taipeh und Hongkong.

Die Verbesserung der deutschen Schüler ist laut Ischinger vor allem darauf zurückzuführen, dass die Gruppe der leistungssschwachen Schüler aufholte. Die Anzahl der Schüler, die nicht das Basisniveau erreichen, um voll am Leben einer modernen Gesellschaft teilzunehmen, ist geschrumpft. Der taz sagte Ischinger: „Alle Ansätze, die lernschwache Schüler fördern, zahlen sich aus und helfen auch den leistungsstärkeren.“

Am anregenden Matheunterricht können die Verbesserungen deutscher Schüler jedoch kaum liegen. Den deutschen Pisa-Verantwortlichen zufolge fühlen sich in Deutschland zu viele Schüler verhältnismäßig wenig angeregt und herausgefordert.

Ein bundesweites Programm zur Verbesserung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts ist in diesem Sommer ausgelaufen. Die amtierende und wahrscheinlich auch zukünftige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) kündigte an, dass der Bund in den kommenden Jahren 500 Millionen Euro in eine Qualitätsoffensive zur Lehrerausbildung investieren wolle. Außerdem sei man mit den Ländern im Gespräch über eine Förderung leistungsstarker Schüler. Die Gruppe jener Schüler, die bei Pisa die oberen Kompetenzlevel erreicht, ist etwa so groß wie die Gruppe der besonders schlechten Schüler.

Schulerfolg und Herkunft hängen zwar nicht mehr so straff zusammen wie noch vor 12 Jahren, sind aber immer noch beträchtlich. „Chancengerechtigkeit bleibt die große Herausforderung“, sagte der amtierende Präsident der Kultusministerkonferenz, Stephan Dorgerloh (SPD) aus Sachsen-Anhalt. Er erwähnte mehrmals Ganztagsschulen, die ausgebaut werden müssten. Allerdings hat sich die Große Koalition bisher nicht dazu entschließen können, einen weiteren Ganztagsschulausbau bundesweit anzugehen.

Ischinger appellierte außerdem an die Politiker, die Zahl der Sitzenbleiber zu reduzieren und die Potenziale von Mädchen in Mathematik auszuschöpfen. Jeder fünfte Schüler hat angegeben, er oder sie habe ein Schuljahr wiederholt. Im Sitzenbleiben ist Deutschland damit Pisa-Spitzenreiter.