„Man redet mehr über sie als mit ihnen“

MIGRATION Die Journalistin Isabella Kroth hat ein Buch über türkische Männer aus Neukölln geschrieben. An diesem Wochenende liest sie daraus – in Neukölln

■ 30, ist Journalistin aus München. Ihr Buch „Halbmondwahrheiten. Türkische Männer in Deutschland – Innenansichten einer geschlossenen Gesellschaft“ erscheint Ende Juli.

taz: Frau Kroth, wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Geschichten türkischer Männer aus Neukölln aufzuschreiben?

Isabella Kroth: Ich fand, dass über Männer aus der türkisch-islamischen Gesellschaft sehr einseitig berichtet wird. Sie werden pauschal be- und verurteilt: als Paschas, die ihre Frauen schlagen, ihre Ehre durch Blutvergießen verteidigen, ihre Töchter in Ehen und zum Kopftuchtragen zwingen. Dabei redet man mehr über sie als mit ihnen. Ich wollte mir selber ein Bild machen.

Was sind das für Männer, mit denen Sie gesprochen haben?

Sie stammen nicht aus der Bildungselite. Es sind Männer der ersten Gastarbeitergeneration und deren Söhne, die teils hier geboren sind, sich aber dennoch nicht in dieser Gesellschaft aufgenommen fühlen. Da gibt es einen, der als Gastarbeiter der ersten Generation davon geträumt hat, hier ein paar Jahre zu arbeiten, ein Haus in der Türkei zu bauen und dann zurückzukehren. Dabei hat er genau das verloren, was ihm eigentlich am wichtigsten war: seine Kinder. Die hat er nämlich in der Türkei zurückgelassen. Dadurch ist in der Familie ein Bruch entstanden, den er nicht mehr reparieren kann. Ein anderer ist ein Importbräutigam, der eine hier lebende Türkin geheiratet hat. Er musste sein ganzes Welt- und Selbstbild umstellen: Hier ist er von seiner Frau abhängig. Ein drittes Beispiel ist ein Mann aus der zweiten Einwanderergeneration, der eine Ehe eingegangen ist, die er eigentlich nicht wollte, ein zwangsverheirateter Mann also.

Was verbindet diese Männer?

Alle leiden eigentlich unter den patriarchalen Strukturen, denen sie sich unterworfen sehen: dass sie immer stark sein müssen, dass sie das Oberhaupt der Familie sein müssen, dass sie Geld verdienen müssen und der Sittenwächter der Familie sein.

Was hat Sie überrascht?

Die Offenheit der Männer! Experten hatten mich zuvor gewarnt, die Männer würden mit mir als Frau – dazu noch aus einem anderem Kulturkreis – nicht offen reden. Ich habe ganz andere Erfahrungen gemacht. Das hat mir gezeigt: Wenn man nicht versucht zu kommunzieren, sondern es von vorneherein für unmöglich hält, dann kann man eben auch nicht ins Gespräch kommen.

■  „Halbmondwahrheiten. Türkische Männer in Deutschland – Innenansichten einer geschlossenen Gesellschaft“ heißt das Buch der Journalistin Isabella Kroth. Daraus liest sie am heutigen Freitag um 18 Uhr im Restaurant Shaan, Richardplatz 20, und am Samstag um 11.30 Uhr auf dem Schillermarkt am Herrfurthplatz.

■  Alles Weitere über das Programm der „Neuköllner Woche der Sprache und des Lesens“ findet sich im Internet unter www.sprachwoche-neukoelln.de.

■  Unter anderem lesen an diesem Wochenende Horst Bosetzky und der taz-Kolumnist René Hamann.

Hilfsangebote konzentrieren sich bislang auf Migrantinnen: Brauchen die Männer mehr Unterstützung?

Dringend. Alle Männer, die ich in meinem Buch porträtiere, sind Mitglieder einer Neuköllner Männergruppe, die von dem Psychologen Kazim Erdogan geleitet wird. Sie lernen dort, über ihre Probleme zu reden. Denn viele schämen sich dafür: aus Angst, als Versager dazustehen. Die Männer dieser Gruppe sind damit auch Multiplikatoren, die Veränderungen in die Communtiy hineintragen. Bisher ist diese Männergruppe ziemlich einmalig. Es wäre wichtig, dass es mehr davon gäbe. INTERVIEW: ALKE WIERTH