„Wir sind für Tibet hier“

Der FIFI Wild Cup am Hamburger Millerntor ist eine große Schlammschlacht geworden – nicht, weil so verbissen gekämpft würde, sondern weil auf dem aufgeweichten Boden auch etwaige fußballerische Talente unentdeckt bleiben. Der Freude am Auch-mal-mitspielen-dürfen tut das keinen Abbruch

von CHRISTINA STEFANESCU

John lehnt im roten Türrahmen zu Block 8, Millerntor, Hamburg. Er steht da, wechselt ein paar Worte mit der Dame von der Security, dreht den Kopf dann und wann über seine rechte Schulter. Eigentlich müsste er dort unten stehen, bei den Toiletten. Aber es ist nicht viel los heute. Vielleicht sind es 900 Zuschauer, die sich das erste FIFI Wild Cup-Gruppenspiel des Tages anschauen: Sansibar gegen die Türkische Republik Nordzypern.

Es ist kalt am Millerntor, 11 Grad. Der Regen tut sein Übriges: Auf dem Platz könnte gut auch eine Weltmeisterschaft im Schlammcatchen stattfinden. Blassgelbe Gummihandschuhe verhüllen Johns Hände, Größe achteinhalb bis neun. Er könnte Größe acht tragen. Wenn er klatscht oder jubelt, dann schlackern die Handschuhe um seine Finger. Beim FIFI Wild Cup jubelt der Ghanaer für Sansibar. „Because of the colour“, sagt er und lacht, wegen der Hautfarbe.

In der 6. Minute fällt das 1:0 für die Türkische Republik Nordzypern, ein Eigentor. Zehn Minuten später ein dummes Foul der Sansibari: In der Manier eines Robert Huth wird der Gegner im eigenen Strafraum niedergegrätscht. Es gibt Elfmeter für Nordzypern. „Meine Güte“, sagt John, der am Millerntor als Reinigungskraft arbeitet, und reißt die Arme gen Himmel. „No good football“, klagt er. Die Mannschaften spielen auf dem Niveau der vierten oder fünften Liga, aber das ist den meisten hier egal. Es geht um den Spaß. Bis zur 40. Minute treffen die Afrikaner nicht mehr als die Fahnenstange hinter dem Tor der Zyprioten. Das 1:2 haben sich die Sansibari hart erkämpft. John jubelt und geht, er muss jetzt arbeiten.

In der Pause dröhnt J.B.O.s Fun-Metal-Version von Nicoles „Ein bisschen Frieden“ aus den Lautsprechern. Der FIFI Wild Cup ist politisch nicht ganz unheikel. Sansibar, Nordzypern und Tibet kämpfen um ihre Unabhängigkeit, bisweilen auch blutig. Doch es soll hier nicht um Politik gehen, sagen die Organisatoren, auch nicht um die Aufnahme von Grönland, Gibraltar, Nordzypern, Tibet oder Sansibar in die FIFA. „Es geht uns um den Fußball an sich“, sagt Jörg Pommeranz vom Organisationsteam.

In der 60. Minute fällt das 3:1 für die Türkische Republik Nordzypern, ein Freistoßtor, direkt verwandelt, aus 25 Metern Entfernung. Fernseh-Rüpel Oliver Pocher wird in der 70. Minute für Sansibar eingewechselt, Stefan Raabs Wurmfortsatz Elton für Nordzypern neun Minuten vor Schluss. Beide streben in bester Ailton-Manier gen Tor – beinahe immer mit einem Fuß im Abseits – und können doch am Ergebnis nichts mehr ändern. Nordzypern hat sich mit dem zweiten Sieg als Gruppensieger für das Halbfinale qualifiziert. Am Montag schlugen sie Grönland mit 1:0.

Eine halbe Stunde nach dem ersten Spiel und einen heißen Filterkaffee später haben sich die Ränge merklich gefüllt. 1.600 Zuschauer zählen die Organisatoren jetzt. Und obwohl die Tibeter mit den A-Jugendspielern aus St. Pauli nicht mithalten können – die Sympathien liegen eindeutig bei ihnen. Tibetische Trikots sind der Verkaufsschlager des Tages, am Devotionalien-Stand sind sie um 20 Uhr schon ausverkauft. Die „Tibet, Tibet“-Rufe hört man wohl noch im benachbarten Karolinenviertel.

Die tibetische Exilregierung kämpft seit Jahrzehnten für die Unabhängigkeit der Provinz. Aus ihrer Sicht verstößt die andauernde Besetzung durch die Chinesen gegen internationales Recht. Für die chinesische Regierung ist Tibet seit Jahrhunderten ein fester Bestandteil Chinas.

Maren und Andreas Zöpfgen aus Buchholz schreien sich heiser für das asiatische Team. „Tibet! Tibet!“ Ihre Fahne ist eine von dreißig im Stadion. Maren hat auch Räucherstäbchen ausgepackt – tibetanische Minibengalos nennt sie ein Journalist. „Wir sind nicht wegen des Fußballs hier, sondern für Tibet“, sagen sie. „Es ist unmöglich, was da passiert.“ Den beiden ist es egal, dass Tibet am Ende mit 0:7 verliert. Gejubelt wird trotzdem. Dafür, dass die Mannschaft am Sonntag zum ersten Mal zusammen trainiert hat, haben die Tibeter gut gespielt. Dass sagt auch der Trainer der Republik St. Pauli, Hartmut Wulff: „Wir haben vielleicht ein bisschen zu hoch gewonnen. Ein 4:1 wäre gerechter gewesen.“

Und weil der Untergrund so herrlich glitschig ist, gibt’s zum Abschluss des Abends eine kleine Schlammschlacht. Tibet und die Republik St. Pauli rutschen Hand in Hand bäuchlings gen Tribüne. Ein feucht-fröhlicher, bunter Abend auf St. Pauli geht zu Ende. Maren Zöpfgen schlingt sich die Tibet-Flagge um die Schultern. Beim nächsten Spiel werden die Buchholzer wieder da sein und Tibet mit all den anderen Fans anfeuern. Ans Finale glaubt zwar keiner mehr, aber darum geht es ja auch gar nicht. Dabei sein ist alles.

Halbfinals heute um 17 und 20 Uhr, die Paarungen standen bei Redaktionsschluss noch nicht fest