Die Faulen und die Ungerechten
: KOMMENTAR VON ULRIKE HERRMANN

Das Verbrechen muss gigantisch sein, wenn es die große Koalition derartig eilig hat: Über Nacht wurde gestern Hartz IV ein weiteres Mal verschärft. Null Geld vom Staat – das soll künftig die Strafe sein, wenn ein Langzeitarbeitsloser mehrmals eine Beschäftigung ablehnt. Für die große Koalition sieht die deutsche Arbeitswelt offenbar so aus: Stell dir vor, es gibt massenhaft Jobs, und keiner geht hin. Also muss man die Unwilligen eben treten.

Diese Sicht ignoriert die neuen Arbeitsmarktdaten, die gestern veröffentlicht wurden. Wieder ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs gesunken. Kein Wunder, dass offene Stellen schnell besetzt werden. Deswegen ist es überflüssig, Druck auf die Hartz-IV-Empfänger auszuüben.

Die große Koalition erfindet unnötige Sanktionen und betreibt damit Symbolpolitik. Die Botschaft ist eindeutig, und sie ist eine Denunziation: Langzeitarbeitslose werden als Faulenzer abgestempelt. Dafür fehlen zwar Beweise, aber das stört die Regierungspolitiker nicht, wissen sie doch ganz genau, dass sich die Langzeitarbeitslosen gegen diesen Generalverdacht nicht wehren können.

Es ist nicht neu, dass sich Regierungspolitiker auf Kosten der Schwächsten profilieren; neben den Arbeitslosen sind auch Asylbewerber und Migranten als Sündenböcke beliebt. Erstaunlich ist aber, dass gerade jetzt Schuldige gebraucht werden. Denn dieser Ausweg wird meist in Krisenzeiten gewählt, um das empörte Volk abzulenken. Dabei könnte sich die große Koalition eigentlich entspannen: Nächste Woche beginnt die Fußball-WM, wichtige Landtagswahlen stehen nicht an, es ist Frühsommer, und die Konjunktur springt an.

Doch die Ruhe täuscht, wie die schlechten Umfragewerte für die Union zeigen. Die Wähler sind genervt: Sie hatten von der neuen Bundesregierung mehr Gerechtigkeit erwartet. Stattdessen soll die Mehrwertsteuer steigen, während die Unternehmensteuer weiter sinkt. Das war nicht der Deal. Dieses Gefühl der Ungerechtigkeit versuchen die Großkoalitionäre nun umzulenken nach dem Motto: Niemand verhält sich so unsozial wie die Langzeitarbeitslosen. Aber auch diese Lüge wird nicht lange helfen.