Heilende Stromstöße

An der Kölner Universitätsklinik werden Zwangsstörungen mit kontrollierten Stromstößen ins Gehirn behandelt. Noch ist die Tiefenhirnstimulation in der Probephase. Erste Daten zeigen, dass etwa zwei Drittel der Behandelten geholfen werden kann

Das Kästchen in der Mulde unter dem Schlüsselbein muss mindestens einmal pro Jahr operativ gewechselt werden

VON LUTZ DEBUS

Eine wenige Millimeter breite Bohrung in der Schädeldecke genügt. Die Operation erfolgt in der Regel unter Lokalanästhesie. Durch die Öffnung wird eine Stimulationssonde in das Gehirn eingeführt. Mit Hilfe einer paralell zur Operation erfolgenden Kernspintomographie kann der optimale Ort der Elektrode bestimmt werden. Im Anschluss wird ein Verbindungskabel unter die Haut hinter dem Ohr bis zum oberen Brustbereich gelegt. Dort wird bei einer weiteren Operation einen Tag später der Neurostimulator, ein etwa fünf mal fünf Zentimeter großes Kästchen, implantiert. Der Name der dann folgenden Therapie lautet: „Tiefenhirnstimulation bei schweren therapieresistenten Zwangsstörungen“.

Zwangsstörungen sind, so Wolfgang Huff, Arzt an der Universitätsklinik Köln, zu etwa 70 Prozent behandelbar. Wenn aber weder Medikamente noch Psychotherapie eine Linderung der Symptome bewirken, könne der sogenannte Hirnschrittmacher ein Ausweg aus dem Leid sein. Noch vor zehn Jahren habe man solchen Patienten eine Läsion empfohlen. Hierbei wurden bestimmte Verbindungen im Gehirn operativ getrennt. Manchmal allerdings klangen nicht nur die Symptome ab. Der Patient litt auch unter zuweilen erheblichen neurologischen Ausfallerscheinungen.

So ist Tiefenhirnstimulation für Huff ein echter Fortschritt. Stromimpulse mit einer Frequenz von 120 bis 150 Hertz hindern die Informationsweitergabe in unmittelbarer Umgebung der Sonde. Bei Problemen aber könne man das Gerät ausschalten. Die Schäden seien nicht irreversibel. Die Behandlung ist noch in der Erprobungsphase.

Bei Menschen, die unter der Parkinsonschen Krankheit leiden, werden Hirnschrittmacher seit etwas über 15 Jahren angewendet. Bestimmte Areale im Hirn, die für die Krankheit verantwortlich sind, werden blockiert. Die Bewegungen der Parkinson-Patienten werden wieder flüssiger.

Bei Zwangspatienten hat man einen anderen Teil des Gehirns als Ursprungsort der Krankheit lokalisiert, den Orbitofrontalen Kortex. Die Weitergabe jener Informationen, die die Zwangssymptomatik ausmachen, erfolgt in der sogenannten inneren Kapsel. Dorthin wird die Sonde platziert.

Natürlich, so Huff, gebe es in der Öffentlichkeit viele Vorbehalte gegen die neurochirurgische Behandlung von psychiatrischen Krankheitsbildern. Nicht ohne Grund habe die Psychochirurgie einen schlechten Stand, räumt der Psychiater aus Köln ein. Noch in den 1960er-Jahren wurde die Lobotomie relativ unkritisch eingesetzt. Patienten wurden hirnorganisch teilweise schwere Schäden zugefügt, um sie ruhig zu stellen. Die Behandlung mit dem Hirnschrittmacher sei aber damit nicht zu vergleichen.

Vor über sechs Jahren wurden die ersten Hirnstimulationen in Belgien eingesetzt. Institute in Frankreich und den USA folgten mit eigenen Untersuchungen. Dort aber arbeitet man mit zwei Stimulationssonden für die jeweils rechte und linke Hirnhälfte. Entsprechend groß sind der Aufwand bei der Operation und der Energieverbrauch. Das Kästchen in der Mulde unter dem Schlüsselbein muss daher mindestens einmal pro Jahr operativ gewechselt werden.

In Köln hingegen wird ein Verfahren angewandt, bei dem nur an einer Seite des Kopfes eine Sonde eingeführt wird. Die Lebensdauer der Batterie verdoppelt sich. Und die Wirkung der Behandlung, so die ersten vorliegenden Daten, entspricht der der Methode aus den anderen Ländern. Obwohl erst Ende des Jahres abschließende Zahlen vorliegen, könne Huff mit einiger Sicherheit annehmen, dass etwa zwei Drittel aller Behandelten eine Besserung ihres Zustandes erfahren.

Die Untersuchung, die an der Uniklinik in Köln durchgeführt wird, ist ein Doppelblindversuch. Nach der Operation werde bei der Hälfte der Patienten in den ersten drei Monaten der Stimulator angestellt, in den folgenden drei Monaten wieder abgestellt. Bei der anderen Hälfte der Patienten ist die Reihenfolge umgekehrt. Nach einem halben Jahr werden dann alle Geräte eingeschaltet. Sowohl die Patienten wie auch die untersuchenden Psychiater wissen nicht, wann welches Gerät arbeitet. Die so gewonnenen Daten sollen also den Placeboeffekt simulieren.

Manche Ergebnisse aus seinen Befragungen verblüffen den Psychiater trotzdem. So sei bei vielen Patienten zu beobachten, dass sich zuerst deren Stimmung aufhelle, dann erst einige Zeit später die Zwangssymptome abklingen. Vielleicht, so die Vermutung von Wolfgang Huff, falle es zwanghaften Patienten schwer, sich einzugestehen, dass es ihnen besser gehe. Auch verwunderte ihn die Tatsache, dass Patienten sehr viel seltener von einem Therapieerfolg sprechen als deren Angehörige.

Familientherapeuten, die eine Krankheit eingebettet sehen in eine soziale Struktur, schreiben den Zwangsstörungen innerhalb der Familie auch eine systemerhaltende Funktion zu. Was also passiert mit den Patienten, wenn sie ihre Krankheit verlieren? Besonders intensiv achtet Wolfgang Huff bei seinen Patienten nach dem Eingriff darauf, ob sie depressiv oder gar suizidal werden.

Der Nationale Ethikrat hat sich vor kurzem erst in seinem Rundbrief zu den Neuroimplataten geäußert. Dort wird ein Blick in die Zukunft gewagt. „Genau an dieser Mensch-Maschine-Schnittstelle könnten (…) Individuen oder Gruppen manipuliert oder überwacht werden“, heißt es dort. Ist der Hirnschrittmacher also der Beginn einer Entwicklung, an deren Ende der direkte Draht zwischen Hirn und dem Zentralcomputer vom Großen Bruder möglich wird? Wolfgang Huff lächelt. Nein, emotionale Prozesse im Hirn seien viel zu komplex, als dass man sie genau vorhersehbar steuern könne, beruhigt der Kölner Mediziner.