Rohstoffe für den Frieden

Mit Wahlen entsteht im Kongo nicht automatisch eine gerechte Wirtschaftsordnung. Über die Widersprüche einer Selbsthilfe-Ökonomie in einem rechtlosen Land

Die „illegalen“ Wirtschaftsstrukturen zu zerschlagen stürzt die Menschen nur weiter ins Elend

Eines der erstaunlichsten Argumente in der deutschen Debatte über den Bundeswehreinsatz im Kongo betrifft die Rohstoffpolitik. „Den schmutzigen Rohstoffkrieg zu beenden“, damit die Reichtümer des Kongo der Bevölkerung zugute kommen, sei eine Hauptaufgabe, führte gestern im Bundestag Walter Kolbow aus, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Eckart von Klaeden, nannte unter den deutschen Interessen im Kongo, „dass die Rohstoffe so abgebaut werden können nach fairen Verfahren, dass sie auch von der Bundesrepublik Deutschland genutzt werden können“. Sein Gegenüber von der SPD, Gert Weisskirchen, rief programmatisch: „Damit die Gewaltökonomie von einer Friedensökonomie abgelöst werden kann, braucht der Bundestag den Mut, jetzt hier zuzustimmen.“

Was aber hat die Entsendung von mehreren hundert Bundeswehrsoldaten nach Kinshasa mit der Rohstoffwirtschaft des Kongo zu tun? Niemand will schließlich deutsche Soldaten in die Bergwerke schicken. Auch die Überwachung der Schleichwege des Schmuggels gehört nicht zu ihrem Mandat. Eigentlich geht es um etwas anderes: Die EU-Truppe soll dazu beitragen, dass die Wahlen im Kongo ein Erfolg werden. Und eine gewählte Regierung wird die Ressourcenausbeutung im Kongo reformieren, damit sie der Bevölkerung nutzt statt „kriminellen Ausbeutern“.

Vorausgesetzt wird damit ein Automatismus: Gewählte Regierung gleich gerechtere Wirtschaftsordnung. Doch dem ist nicht so. Vor allem nicht im Kongo, wo die „kriminellen Ausbeuter“ beste Chancen haben, selbst die nächste gewählte Regierung zu stellen. Kaum jemand bestreitet ernsthaft, dass Präsident Joseph Kabila die Wahlen gewinnen wird. Und sein Umfeld ist laut Untersuchungsberichten der UNO und des kongolesischen Parlaments hauptverantwortlich für die Ausplünderung während des Krieges. Hinzu kommt, dass die nicht minder an Ausplünderung beteiligten einstigen Rebellen des Kongo, die das Land derzeit mit Kabila zusammen regieren, auch in eine gewählte Regierung Kabila eingebunden werden sein dürften. Ihre Leitungsposten in Militär, Wirtschaft und Staatsbehörden werden sie kaum über Nacht verlieren, und auch auf lokaler Ebene dürften ihnen Pfründen sicher sein. Die Einbindung aller ehemaligen Kriegsparteien ist unter Stabilitätsgesichtspunkten sogar wünschenswert.

Wenn aber die Plünderer auch nach den Wahlen an der Macht bleiben, trägt die Absicherung dieser Wahl durch deutsche Soldaten keineswegs dazu bei, die Strukturen der Ausplünderung zu brechen. Im Gegenteil: Sie schenkt zusätzliche internationale Legitimation. Wenn ein Staat von einer kriminellen Elite geführt wird, festigt es nur kriminelle Strukturen, wenn das staatliche Gewaltmonopol gefestigt wird und staatliche Behörden die Kontrolle über Mineralienexporte erlangen.

Die formelle Bergbauwirtschaft des Kongo wurde in Jahrzehnten des Staatszerfalls und Krieges zugrunde gewirtschaftet; heute dominiert der informelle Sektor. Während des Friedensprozesses seit 2003 hat die kongolesische Übergangsregierung vor allem in der wichtigsten Bergbauprovinz Katanga zahlreiche neue Verträge mit ausländischen Partnern abgeschlossen, deren Bedingungen nicht weniger fragwürdig sind als die Verträge zu Kriegszeiten. Rechte an gigantischen Mineralienvorkommen wurden für Spottbeträge langfristig an ausländische Investoren vergeben; im Gegenzug sollen fette Provisionen und Wahlkampfspenden geflossen sein. Die tatsächliche Förderung gerade in Katanga ist hingegen im Jahr 2005 erneut gesunken, nach einem kurzen Aufschwung zu Beginn des Friedensprozesses.

Kongo und seine ausländischen Berater in der Weltbank setzen auf ein „Weiter so“. Sie rechnen nach den Wahlen mit einem unmittelbaren ökonomischen Effekt: Ein Rückgang des Geschäftsrisikos bringt dem Kongo einen massiven Sympathie- und Bonitätsbonus, der dann auch seriösere Investoren anzieht. Die informelle Wirtschaft hingegen soll verdrängt werden, denn sie ist als Devisenbringer ineffektiv.

Dabei war die Informalität – also die Zulassung privater Schürfer und Händler – einst eine wichtige demokratische Errungenschaft. Diktator Mobutu gewährte sie in den 80er-Jahren unter dem Motto „Bereichert euch!“, um die Folgen einer schweren Wirtschaftskrise zu lindern. Bis dahin wirtschafteten Staatsfirmen und Großkonzerne als Monopolbetriebe ohne Rücksicht auf die Menschen, und Geld aus dem Export blieb der Staatselite vorbehalten – eine Hinterlassenschaft der brutalen belgischen Kolonialwirtschaft.

Erst der Verfall der industriellen Förderung, die Ausbreitung des informellen Schürfens und der zollfreie Export über Mittelsmänner machten es möglich, dass tatsächlich die Ausbeutung der Rohstoffe der Bevölkerung zugute kommen konnte. Ende der 90er-Jahre wurden diese Strukturen parasitär von Warlords übernommen. Dadurch konnte dem gesamten informellen Sektor der Ruch der Kriegswirtschaft und der Ausplünderung angehängt werden.

Eine gerechte Rohstoffwirtschaft im Kongo muss anerkennen, dass die Bevölkerung der Kriegsgebiete des Landes den Krieg nur durch Inanspruchnahme „illegaler“ Wirtschaftsstrukturen überleben konnte. Diese jetzt zu zerschlagen, würde die Menschen weiter ins Elend stürzen. Kontrolle durch staatliche Stellen bedeutet auf lokaler Ebene im Kongo zumeist einfach nur Willkürherrschaft einzelner Amtspersonen.

Kontrolle durch staatliche Stellen bedeutet auf lokaler Ebene meistens Willkürherrschaft

Schritte zur Friedensökonomie müssen bei den Menschen selbst beginnen. Informelle Schürfer, die jetzt unter unmenschlichen Bedingungen die Reichtümer des Kongo fördern, wissen genau, was sie brauchen. Sie wollen technische Hilfe, um Erdrutsche zu verhindern, um Stollen zu sichern, um den Transport von Wasser zur Erzwäsche hinunter in die Gruben zu erleichtern. Sie wollen unabhängige Prüfstellen, um bei der Schätzung des Mineraliengehalts ihrer Erze nicht von Händlern übers Ohr gehauen zu werden. Sie wollen Märkte ohne Wucherpreise und Gesundheitsversorgung vor Ort. Sie wollen nicht verjagt werden wie Hunde, wenn ein Vertreter irgendeiner Firma kommt und mit einem Papier wedelt, auf dem steht, dass die Mine jetzt ihm gehört. Sie empören sich, wenn Soldaten und Polizisten ihnen unter Vorwänden ihre Förderprodukte beschlagnahmen, und sie wollen sich nicht immerzu das Stillhalten des diensthabenden Kommandeurs erkaufen müssen.

Solche Reformen können ohne Wahlen nie gelingen. Aber sie treten nicht automatisch mit Wahlen ein, und die Stärkung des Staates erschwert sie eher. Der Kongo braucht ein ökonomisches Reformprogramm, in dem die kongolesischen Akteure und Betroffenen die zentrale Rolle spielen und nicht die Staatsmacht. Diesen gedanklichen Sprung müssen die Befürworter des Bundeswehreinsatzes erst noch vollziehen.

DOMINIC JOHNSON