Von Schlafzimmern und Schränken

Arbeitsloseninitiative kritisiert Unklarheiten im neuen Gesetz zu Hartz IV. WG hätte es schwer, wenn die Behörde eine „Einstehensgemeinschaft“ unterstellt. Völlige Streichung der Geldleistung bei Jobablehnung aber wohl verfassungsgemäß

VON BARBARA DRIBBUSCH
UND CHRISTIAN RATH

Martin Künkler hat schon viele Gesetzestexte gesehen. Aber solch unklare Formulierungen wie jetzt im so genannten Fortentwicklungsgesetz zu Hartz IV seien ihm bisher „nur selten untergekommen“, sagt Künkler, Referent bei der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen in Berlin.

Laut dem Gesetz, das gestern Abend vom Bundestag beschlossen werden sollte, warten auf Erwerbslose, die Arbeitslosengeld II beantragen, mehr Sanktionsmöglichkeiten. Besonders die „Beweislastumkehr“, nach der Zweierwohngemeinschaften, die länger als ein Jahr zusammenleben, künftig nachweisen sollen, dass sie keine „Einstehensgemeinschaft“ bilden und damit gegenseitig unterhaltsverpflichtet sind, sorgt für Irritation. „Wir befürchten, dass damit Mitglieder von Wohngemeinschaften vorschnell wechselseitig in Haftung genommen werden“, so Künkler.

Heinz Oberlach, Sprecher der Bundesagentur für Arbeit, erklärte gestern im Gespräch mit der taz, das Zusammenwohnen allein begründe in den Augen der Behörde noch keine Einstehensgemeinschaft. Die Behörde werde daher auch nach gemeinsamen Konten, wechselseitig abgeschlossenen Versicherungen oder gemeinsamen Kindern fragen. Wenn diese Punkte vorlägen, ginge man von einer „Einstehensgemeinschaft“ aus.

Allerdings sei zu erwarten, dass die Außendienstmitarbeiter der Behörden darüber hinaus künftig verstärkt Hausbesuche machten, um zu überprüfen, ob nicht dennoch, etwa durch gemeinsame Schlafzimmer oder gemeinsam genutzte Schränke, der Eindruck einer Einstehensgemeinschaft überwiege, so Oberlach. Bei diesen Prüfungen komme es dann „auf den Einzelfall“ an.

Genau diese Einzelfallprüfungen aber werden von den Arbeitslosenvertretern moniert. Künkler befürchtet Schikanen und bemängelt, dass es im Gesetz „keine klaren Hinweise“ gebe, wie denn Zweierwohngemeinschaften beweisen könnten, dass sie keine Lebensgemeinschaft bilden, wenn das Jobcenter dies annehme.

Laut dem neuen Gesetz „sollen“ Erstantragssteller auf Arbeitslosengeld II künftig ein „Sofortangebot“ von den Jobcentern bekommen. Dies sei aber kein Muss, sondern lediglich eine „deutlichere Verpflichtung“ der Behörden, erläutert Olaf Müller, Sprecher der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesarbeitsagentur.

Die neuen Regelungen treten teilweise in der zweiten Jahreshälfte, teilweise zu Beginn nächsten Jahres in Kraft. Nach den Neuregelungen können bei wiederholten Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres das Arbeitslosengeld II und der Mietzuschuss ganz gestrichen werden. Wolfgang Neskovic von der Linkspartei sieht darin die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verletzt, wonach mittellosen Bürgern zumindest das Existenzminimum zu sichern ist.

Dabei übersehen die Linken allerdings, dass der Staat nach Meinung juristischer Kommentatoren zur Sicherung des Existenzminimums nur verpflichtet ist, wenn sich ein Bürger unverschuldet nicht selbst helfen kann, etwa weil er krank ist. Es besteht aber wohl keine verfassungsrechtliche Pflicht, Menschen den Lebensunterhalt zu finanzieren, die Arbeitsangebote ablehnen. Wenn das ALG II um mehr als 30 Prozent gekürzt wird, können die Behörden laut Gesetz zudem „in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen“.