Renaissance-Rausch im Club

ZIELGRUPPEN Das Ensemble Resonanz spielt Musik von John Dowland und lässt dazu einen DJ auflegen. Dafür soll das Golem-Publikum dann auch ins Laeiszhallen-Konzert kommen

VON PETRA SCHELLEN

Von der Melancholie zur Ekstase, von der Depression zur rauschhaften Verzückung: Wo soll man ein solches Konzertprogramm zelebrieren? In der gediegenen Laeiszhalle, wo man nicht essen, singen und schon gar nicht tanzen darf zwischen den eng bestuhlten Reihen? Oder lieber an einem Ort wie der Bar Golem am Fischmarkt? In einem Raum, der sich als „Ort des gepflegten Besäufnisses und des ernsthaften Gesprächs“ versteht und für Ekstase, für Dichte und Rausch wie geschaffen zu sein scheint?

Das Dilemma ist schwer zu lösen, zumal sich beide Gemütszustände kontrapunktisch gegenüberstehen. Aber letztlich steht dieser wilde Versuch, beides in eins zu bringen, auch für die Verklammerung gegensätzlicher Zuhörersegmente und Räume – für den Sog mithin, auf den das konzertierende Ensemble Resonanz zielt: Gediegenes Publikum und Off-Szene, Laeiszhalle und Golem zusammenzubringen, haben sie sich vorgenommen wie schon öfter in ihrer Reihe „Offbeat“. Und so versteht sich das Konzert an diesem Samstag als Vorbereitung auf das „gediegene“ Laeiszhallen-Konzert am folgenden Donnerstag.

Im Zentrum beider Abende steht der Renaissance-Komponist John Dowland mit seinen melancholischen Pavanen. Das sind Schreittänze, die im 16. Jahrhundert modern waren und die sogar die englische Königin Elisabeth I. liebte. Nun kann man Dowlands Pavanen natürlich in der klassischen Orchesterversion anhören. Man kann ihre für heutige Ohren fremden Harmonien aber auch mit Sphärisch-Elektronischem mischen, und genau das wird DJ Phuong-Dan im Golem tun. Dazu lesen Schauspieler Melancholie- und Ekstase-Texte.

Die Wahl des Ortes hat System. Denn das Ensemble will das Off-Publikum erreichen und nicht immer nur vorm berüchtigten älteren „Silbersee“-Publikum spielen, das die Laeiszhalle besucht. Nun gibt es zwar Menschen – wie Hamburgs Elbphilharmonie-Intendanten Christoph Lieben-Seutter –, die sagen, die Aneignung solcher Räume durch klassische Musiker habe Grenzen: An die Off-Orte komme, wenn da mal Klassik gespielt werde, ebenjener „Silbersee“, der diese Location exotisch finde. Das normale Off-Publikum erreiche man kaum.

Lisa Erkelenz vom Ensemble Resonanz hingegen ist überzeugt, das man das sehr wohl schaffen könne: Dann nämlich, wenn man diese Off-Orte regelmäßig bespiele und nicht nur als „Eintagsfliegen“. Das tut das Ensemble allerdings. Nicht nur, dass es im Kulturhaus 73 im Schanzenviertel residiert und dort auch konzertiert: Es hat sich auch verschiedene Konzertformate ausgedacht, um beim Off-Publikum zur Marke zu werden – wie eben das jetzige Offbeat-Konzert im Golem.

„Es ist als Anker gedacht, um Hemmschwellen abzubauen“, sagt Erkelenz. Deshalb habe man diese Reihe zunächst ausschließlich per Aufkleber und Flyer im Schanzenviertel bekannt gemacht. Inzwischen gebe es aber einen soliden Publikumsstamm auch für die Konzerte des Ensembles im Haus 73, „und inzwischen informieren wir auch unsere älteren Hörer“. Der Publikumsmix gelinge gut.

Aber das ist ja nur die halbe Miete. Was ist mit dem zweiten „Resonanzen“-Konzert am 12. Dezember in der Laeiszhalle, wo neben Dowland auch Britten, Strauss und Hindemith erklingen? Kommt das Off-Publikum mit, oder funktioniert die Hemmschwelle „bürgerlicher Konzertraum“ da plötzlich doch?

Man habe es noch nicht gemessen, sagt Erkelenz, sie sei aber optimistisch. Trotzdem kann man fragen, ob hier der Publikumsmix an seine Grenzen stößt. Und ob es vielleicht genügt, wenn das Off-Publikum in Clubs Klassik hört und das Orchester so wenigstens numerisch Besucher hinzugewinnt: indem sie jedes Segment da aufsuchen, wo es ist.

■ „Offbeat – Melancholie und Ekstase“ mit Pheline Roggan, Tilo Werner, Phuong-Dan und Ensemble Resonanz: Sa, 7. 12., 20 Uhr, Golem, Große Elbstraße 14 ■ „Resonanzen 3 – Tränenglück“, Lawrence Power (Viola) und Ensemble Resonanz mit Werken von Dowland, Britten, Hindemith, Strauss: Do, 12. 12., 20 Uhr, Laeiszhalle