Die Wiederkehr der Wikinger

Wird Bremen wieder mal gebrandschatzt? Heute ziehen die schwedischen Fußball-Fans mit ihrer Nationalmannschaft in die Stadt ein. Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) gibt sich gelassen, seine Truppen aber haben Urlaubssperre

von Henning Bleyl

Diesmal soll alles anders sein. Der heutige Einzug der Schweden – die Nationalmannschaft bezieht 60 Zimmer im Parkhotel, in ihrem Gefolge werden hunderte von Fans erwartet – soll keine Spur der Verwüstung nach sich ziehen, sondern ein Fußballfest. Die Stadt werde zur friedlichen „Fankurve der Skandinavier“, verlautbart „bremen online“. Um da ganz sicher zu sein, hat Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) die Urlaubssperre für seine „geschlossenen Einheiten“ verfügt und eine „intensive polizeiliche Vorbereitung“ veranlasst. In groß angelegten Übungen wurde unter anderem das Räumen einer Straßenbahn von randalierenden Fans geprobt. Aber eigentlich, sagt Polizeisprecher Dirk Siemering beruhigend, seien die Schweden doch „ein nettes Völkchen“.

Fachleute wie der Archäologe Thorsten Bischop können auf andere Erfahrungen verweisen: Bereits „mehrere Male“ wurde Bremen von den Wikingern überfallen. Bischop weiß, wovon er spricht. Eigenhändig hat er in unmittelbarer Nähe des Doms verbrannte Palisadenreste ausgegraben, die die Skandinavier bei ihrem letzten Besuch 994 hinterließen, nebst eisernen Geschossspitzen. Bischop zu Folge lebten die Bremer in einem Zeitraum von gut 250 Jahren „in permanenter Angst“. Angesichts der eingeschlagenen Schädel, die gerade im niederländischen Zutphen ausgegraben wurden, eine verständliche Gefühlslage. In Stade schnitten die Wikinger ihren Geiseln Nasen und Hände ab, obwohl das geforderte Lösegeld bereits gezahlt war.

Jetzt aber soll der Rubel in die andere Richtung rollen. „Wir profitieren von jedem Touristen“, heißt es im Wirtschaftsressort, „Bremen Marketing“ hat eigens das Stadtmusikanten-Märchen in’s Schwedische übersetzt, die Bremer Touristik Zentrale (BTZ) gleich mehrere Broschüren – wer liest, raubt keine Kirchen aus. Im Innenressort herrscht, kurz vor dem Sturm, demonstrative Gelassenheit: „Diesmal kommen sie ja im Charterflugzeug“, sagt ein Sprecher. Genau um 15.40 Uhr.

Roter Teppich statt Blutspur, glattrasierte pünktliche Sportler statt wilder Räuber: Jetzt muss nur noch das Deeskalationskonzept aufgehen, wenn am 12. Juni mehrere Tausend schwedischer Fans zum Platz 11 in der Pauliner Marsch strömen, wo ihre Mannschaft trainiert – zum ersten öffentlichen Training am Pfingstsonntag (11.30 Uhr) sind sie vorsichtshalber gar nicht zugelassen. Nächste Nagelprobe: Das erwartbare Rausfliegen der Schweden-Elf. 1958 schaffte sie es zum letzten Mal in ein WM-Finale – das ist lang angestauter Frust.

Wer historisch argumentiert, muss gerecht bleiben: 845 verdankten die Bremer den Wikingern ihre Erhebung zum Erzbistum, ein damals nicht zu vernachlässigender Standortfaktor. Hintergrund war die Vertreibung des Hamburger Amtsinhabers. Auch diesmal werden viele Schweden ihre Zelte an der Elbe aufschlagen, weil die dreiwöchige Unterkunft von 600 schwedischen Fans auf dem alten Campingplatz am Unisee nicht geklappt hat.

Was also kann man aus der Geschichte lernen? Dass sie sich wiederholt. Kaum 700 Jahre nach ihrem letzten Überfall standen die Wikinger – diesmal schon moderner in „Schweden“ umbenannt – schon wieder vor den Toren der Stadt. Bevor sie im letzten Moment gestoppt werden konnten, hatten sie schon Burg an der Lesum platt gemacht. Immerhin aber ist Bremen im Lauf der Zeit pragmatischer geworden. Während sich im 17. Jahrhundert zwei veritable „Schwedenkriege“ an der Frage entzündeten, ob die Stadt dem Stockholmer König zu huldigen habe (der sich im 30-jährigen Krieg den Titel eines „Herzogs von Bremen“ erobert hatte), ist die aktuelle Stadtregierung zu weitreichenden Gesten bereit: An allen markanten Plätzen und Einfallstoren wehen seit Tagen die schwedischen Nationalfarben.