DENA KELISHADE BIONEUROTIKERIN
: Lohas haben es auch nicht leicht

Ich bin eine Lohas. Ich hasse es. Denn Lohas – Menschen mit dem „Lifestyle of Health and Sustainability“ – haben keine Fehler und auf alles eine Antwort: Autofahren? Mit Elektrizität! Fleischessen? Teure Biowurst, aber dafür wenig! Bioprodukte von fragwürdiger Moral? Ist nur eine Übergangsphase, bis die Kapitalisten komplett auf alternative Produkte umstellen, weil niemand mehr ihre ungesunden und umweltschädlichen Dienste kaufen wird!

Bestimmt sind wir Lohas auch schon Ihnen begegnet. Wir sind die gesunden Gutmenschen in ihrem örtlichen Einkaufsumfeld. Wer jetzt an Biowurst und Ökolandkäse denkt, liegt genau richtig. Unser Ökosystem ist das Yogastudio und die Praxis für homöopathische Medizin. Dank der Industrialisierung des Biomarkts sind wir nun auch bei Aldi und Co. anzutreffen.

Dort sind wir allerdings nicht unter uns. Ich bin die Einzige, die im Discounter ewig vor dem Regal steht und Packungsaufkleber liest. Bin ich ein Schnösel: schöner, schlanker, schlauer?

Das nächste Mal gehe ich als Otto Normalverbraucherin zu Aldi. Nach zwei Minuten stehe ich dann an der Kasse und habe alles richtig gemacht: Mit einer Packung stinknormaler Wurst reihe ich mich in die Schlange ein und schaue mit triumphierendem Blick zu der Mutti vor mir, die mit ihrer teuren Biosalami im Einkaufskorb der Bioverlockung nicht widerstehen kann. Ich lege meine Packung auf das Fließband. Aber plötzlich schaut mich die Wurst an. Oh, nein! Im Delirium habe ich im Kühlregal zur Gesichtswurst gegriffen! Gemästet, geschlachtet und zurückgepresst in seinen eigenen Darm, um wieder in verschiedenen Rosatönen zu einem Gesicht zusammengesetzt zu werden: Dieses Schwein kommt mir nicht auf’s Brot! Auf dem Weg nach Hause erwische ich mich bei dem Gedanken: Super, da habe ich ja wieder auf Fleisch verzichtet. Verdammt, ich kann es einfach nicht: keine Lohas sein.