Schluss mit der Langeweile

TENNIS Im Frauenfinale der French Open erobert die 30-jährige Francesca Schiavone mit Herz und Hirn die Sympathien aller. Der Erfolg gegen Sam Stosur beschert der Italienerin den ersten großen Titel

AUS PARIS DORIS HENKEL

Am Ende wischte sich sogar der kleine Präsident des französischen Tennisverbandes eine Freudenträne aus dem Augenwinkel. Jean Gachassin war in jungen Jahren Rugbyspieler und ist sicher unverdächtig, allzu rührselig zu sein, aber jeder Mensch mit ein bisschen Gefühl im Leib musste sich an diesem Sommertag in Paris mit Francesca Schiavone freuen. Und vor allem über sie. Mit der unschlagbaren Kombination von Herz und Hirn hatte sie das Finale gegen Sam Stosur gewonnen. Nach fast zehn Jahren der Langeweile mit zitternden Debütantinnen im Stade Roland Garros war der freche Auftritt dieser ansteckend fröhlichen Italienerin ein Geschenk.

Fast alle hatten Stosur nach den eindrucksvollen Siegen gegen Justine Henin und Serena Williams für die Favoritin gehalten. Die athletischen Vorteile der Australierin mit der einschüchternden Kombination aus gefährlichen Aufschlägen und bissiger Vorhand schienen zu deutlich zu sein. Doch Francesca Schiavone tat genau das, was man tun muss, wenn man körperlich unterlegen ist: Sie öffnete das Feld mit kurzen, cross gespielten Bällen, ergriff bei der erstbesten Möglichkeit die Initiative und präsentierte Volleys in klassischer Perfektion. Das war Tennis mit Variationen und Verstand, getragen von einem klaren taktischen Plan und dem Mut zum Risiko.

Den Granden des Tennis ging das Herz dabei auf. Der Schwede Mats Wilander war nach dem Spiel geradezu euphorisch: „Das war ein großer Sieg fürs Tennis. So spielt man auf Sand, und so begeistert man die Leute.“ Und Martina Navratilova sagte: „Francesca hat sensationell gut gespielt, ich freue mich für sie.“ Selbst Sam Stosur trug trotz ihrer Enttäuschung einen sehr schönen Satz zum allgemeinen Lobgesang bei, als sie sagte: „Wenn du den Willen hast, dann kannst du es schaffen. Man braucht Mut dazu, aber sie hatte ihn.“

Welchen Ruf Schiavone im Kreis der Kolleginnen genießt, das war einer über Twitter geschickten Nachricht von Kim Clisters an Italiens neue Heldin zu entnehmen. „Es ist klasse, eine der Nettesten, Witzigsten, Coolsten, ein ehrlich und hart arbeitendes Mädchen siegen zu sehen. Du verdienst den Pokal.“

Das fand Schiavone auch – „Schiavo“, wie es auf den schwarzen T-Shirts ihrer Freude stand, die zehn Stunden mit dem Auto gefahren waren, um sie im Finale spielen und siegen zu sehen. Der erste Sieg einer Italienerin in der Geschichte der Grand-Slam-Turniere rief selbstredend auch die Staatsführung auf den Plan; Präsident Giorgio Napolitano meldete sich nach der Siegerzeremonie per Telefon.

Und es gibt noch eine dritte Dimension der Freude nach der ersten über den Triumph der Intelligenz und der zweiten über den Erfolg einer so liebenswerten Persönlichkeit. Sam Stosur meinte, der Sieg zeige, dass man nicht ein Teenager-Wunderkind-Superstar sein müsse, um ein Turnier wie dieses zu gewinnen. Schiavone wird in gut zwei Wochen 30 Jahre alt, und prinzipiell sind die Zeiten vorbei, in denen jemand dieses Alters im Tennis den ersten großen Titel gewinnt. Was es nun für die anderen bedeutet, dass eine, die bisher eher in der zweiten Reihe stand, auf einmal alles über den Haufen wirft und einen der größten Titel des Tennis gewinnt? „Es bedeutet“, sagt Francesca Schiavone – „tennissima“, wie die Sportzeitung L’Équipe schrieb –, „dass jeder die Chance hat, der zu sein, der er sein möchte, und wirklich alles im Leben erreichen kann. Genau das ist mir passiert.“ Viva Francesca, e mille grazie.