Die Zuckerrübe ist konter- revolutionär

Haiti war die erste unabhängige Republik in Lateinamerika, das erste unabhängige von Schwarzen regierte Land der Welt

Es ist ihr Interesse für den Widerstand gegen Kolonialismus, Imperialismus und Ausbeutung, das vier linke Publizisten, Wissenschaftler und Musiknerds aus Köln dazu gebracht hat, sich mit der Geschichte Haitis näher zu beschäftigen.

Doch wer am Freitagabend im Berliner Ballhaus Naunynstraße ihren fast dreistündigen Vortrag „Haitian Fight Song“ durchhielt, erfuhr, dass Köln und Haiti durchaus noch mehr miteinander zu tun haben. Zucker ist das Zauberwort.

Unter Napoleon wurde Köln zu einem wichtigen Wirtschaftszentrum, unter anderem wegen der Zuckerrübenproduktion, die den fehlenden Zucker von den Zuckerrohrplantagen aus Übersee ersetzen sollte. 1804, das Jahr, in dem Napoleon sich zum Kaiser krönte, war nämlich auch das Jahr, in dem Haiti als unabhängige Republik von Jean-Jacques Dessalines ausgerufen wurde. Haiti war die erste unabhängige Republik in Lateinamerika, das erste unabhängige von Schwarzen regierte Land der Welt und das einzige Land, dessen Unabhängigkeit auf einer erfolgreichen Rebellion ehemaliger Sklaven gründete. Und von denen wollte man in Europa keinen Zucker mehr kaufen.

In einer Mischung aus Lesung und Vortrag, anhand von Filmausschnitten, Musikbeispielen und Kartenmaterial erläuterte die Kölner Boygroup, bestehend aus Christian Frings, Malte Meyer, Felix Klopotek und Peter Scheffele, dass nicht nur die Gründung Haitis aus einer Rebellion der Sklaven hervorging, sondern dass es auf der Insel bis in das 21. Jahrhundert immer wieder zu kleineren und größeren Aufständen gegen Ausbeutung und Imperialismus kam. Dabei wurde der Klassenkampf von der Kölnern manchmal etwas überanstrengt. So interpretierten sie auch den Umstand, dass die ersten afrikanischen Sklaven sich trotz eines Drittels Frauen nicht in der zu erwartenden Größe fortgepflanzt hätten, als Widerstand, der die Sklavenhalter dazu zwang, immer wieder für neuen Nachschub aus Afrika zu sorgen.

Doch in vielen Teilen wurde Geschichte erzählt, wie sie den wenigsten bekannt sein dürfte. Nicht zuletzt die des Theologen und ehemaligen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide. Den seit 2004 im südafrikanischen Exil lebenden, ersten demokratisch gewählten Präsidenten Haitis halten viele im Westen für einen Schurken. Doch nicht Aristide war verantwortlich für Armut und Chaos, in die das Land getrieben wurde, sondern die USA und Europa, die Entwicklungskredite und andere finanzielle Hilfen vollständig verweigerten, da Aristide nicht fügsam genug war. „Haitian Fight Song“ zeigt, dass viele allerdings nicht vergessen, warum Aristide ging. Sie bewahren nicht nur in der Musik die Erinnerung an eine seit 200 Jahren rebellische Geschichte. DORIS AKRAP