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Heißer Tanz auf dem Besenwagen

Der Wagen mit der Nummer 84, Schlusslicht beim diesjährigen Karneval der Kulturen, gehörte den Tänzerinnen und Tänzern der „Caribbean Heatwave“ und der „T’n’T Masqueraders“, die in diesem Jahr gemeinsam die sensationelle WM-Teilnahme von Trinidad und Tobago feiern – vornehmlich mit Rum

von TORSTEN GELLNER

Der Mann mit den blonden Rastas und dem glasigen Blick hat offenbar schon genug. Er lehnt sich über die Brüstung der Lkw-Ladefläche und spuckt das eben erst geöffnete und einverleibte Bier im hohen Bogen in die Gegend. Glücklicherweise wird niemand verletzt. Zur Zeit des Unglücks halten sich nur wenige Menschen in der Nähe des Wagens mit der Nummer 61 auf. Kein Wunder. Der Lkw des Vereins „Via con Agua de Sankt Pauli“, von dem sich die Bierfontäne ergießt, steht noch in der Kreuzberger Urbanstraße und wartet auf seinen Einsatz. Es ist Sonntagnachmittag, kurz nach halb drei Uhr, und es wird noch eine Weile dauern, bis sich die Wagen der hinteren Positionen endlich in Bewegung setzen dürfen.

Hier am Hermannplatz Ecke Urbanstraße beginnt die Umzugskarawane des Karnevals der Kulturen. Wenn dort die letzten der rund hundert Wagen und Formationen die Zuschauer passiert haben, sind die ersten schon längst am Ziel in der Yorckstraße eingetrudelt.

Für die Teilnehmer bedeutet das Warten keine Qual, gibt es doch viel zu tun: Kostüme werden zurechtgezupft, ein letztes Mal die Tanzschritte geprobt, die Instrumente gestimmt. Viele verkürzen sich die Wartezeit aber einfach nur mit Trinken.

So auch Jens Kreyenborg. Er hat eine Blechtasse und einen kleinen Stoffbeutel an der Hüfte hängen, darin eine Flasche Punsch – und Geld fürs Taxi. Den Rumtrunk hat er selbst angesetzt, drei Liter. Das Rezept kommt von seiner Frau Carol, die ursprünglich aus Trinidad stammt: Ananassaft, Grenadine, Limettensaft, Grapefruit, viel Rum und, ganz raffiniert, ein paar Tropfen Muskatöl. Ganz authentisch sei das nicht, gibt Kreyenborg zu verstehen. „Auf Trinidad und Tobago trinkt man den Rum für gewöhnlich pur. Aber ich muss ja noch eine Weile fit bleiben.“

Hier, inmitten der vielen, nun ja, halb nackten Mädchen und Frauen des Karnevalvereins „Caribbean Heatwave“ wirkt der 67-Jährige doch ein wenig exotisch. Dabei ist er quasi ein karnevalistisches Urgestein. Schon seit 1996, seit es den Karneval der Kulturen gibt, schwingt Kreyenborg seine Hüften zum Soca, dem treibenden Sound der Zwillingsinseln Trinidad und Tobago.

Mit dem Karnevalstreiben auf den Karibikinseln ist die Berliner Parade natürlich nicht zu vergleichen. Auf Trinidad und Tobago herrscht zur Karnevalszeit Ausnahmezustand – nur in Brasilen wird noch größer gefeiert. „Die Leute hier haben Angst, sich zu kostümieren. Auf Trinidad ist das anders“, erzählt Kreyenborg. „Da rennt jeder so ähnlich rum wie ich.“ Er trägt ein knappes, enges Höschen aus rot glänzendem Stoff, eine kurze Weste und eine goldbesetzte Haube.

Dazu gekommen ist er natürlich über seine Frau Carol. Auch sie ist farbenfroh und Stoff sparend gekleidet. Blickfang sind ihre großen, feuerroten, spitzen Rückenflügeln, die im Halbrund aus ihren Schultern zu schießen scheinen. „Das sind Flammen, schließlich heißen wir Caribbean Heatwave“, erläutert Carol den aufwändigen Schmuck. Eine Extravaganz, die bisweilen kleinere Umstände macht. Wer im Aktionsradius der quirligen Tänzerinnen steht, muss schon aufpassen, dass einem keine Flamme ins Auge sticht.

Eigentlich sollte der Wagen mit der Nummer 84 so gegen 15 Uhr losrollen. Aber die Tänzerinnen und Tänzer der „Carribean Heatwave“ und der „T’n’T Masqueraders“, die in diesem Jahr gemeinsam der sensationellen WM-Teilnahme von Trinidad und Tobago huldigen, müssen sich noch knappe zwei Stunden gedulden. Langeweile hat hier dennoch keinen Platz. Die etwa 40 Männer und Frauen der Formation hüpfen, trippeln und tänzeln schon jetzt ausgelassen zu den schnellen Soca-Beats. Gegen 17 Uhr steigt die Erregungskurve dann noch mal kräftig an, als sich der Tross endlich in Bewegung setzt. Für einen kurzen Moment brechen sogar die Wolken auf, und die Sonne lässt sich blicken, ehe dann ein leichter Nieselregen einsetzt. Zur gleichen Zeit auf Trinidad und Tobago regnet es auch – allerdings bei 30 Grad.

„Wir sind so etwas wie der Besenwagen“, sagt Karnevalsveteran Jens Kreyenborg. „Wir sammeln die Zuschauer ein.“ In der Tat. Spätestens als die Hasenheide passiert ist, haben sich mehrere hundert Menschen eingereiht und lassen selbst die Hüften oder einfach nur die Bierflaschen kreisen. Hinter ihrem Rücken wird derweil eifrig gekehrt – noch so ein Besenwagen: Ein prächtiger Blumenaltar, der von ebenso bunt gewandeten Krishna-Anhängern umringt wird. An ihrer Spitze fegt ein junger Mann symbolisch die Straße. „Wir machen die Straße für Gott sauber“, erläutert er sein Tun.

Während im immer größer werdenden Trinidad-und-Tobago-Pulk bisweilen auch tänzerische Kopulationsszenen dargeboten werden, herrscht zwei Wagen weiter vorne im wahrsten Sinne Zucht und Ordnung. Auf dem Anhänger eines roten Trucks haben sich drei, vier Dutzend Männer und Frauen mit Cowboyhüten in Reih und Glied aufgestellt, um unter Anleitung nach einer strengen Choreografie zu tanzen. Konzertiertes Händeklatschen, Füßetrippeln, Umdrehen. Die Damen und Herren vom „Country- und Western-Dance Richtershorn“ sind hoch konzentriert. Nur gelegentlich kommt es vor, dass jemand aus der konzertierten Aktion ausbricht und einen Tick zu früh klatscht.

Am Wagen Nummer 84 gibt es keine Choreografie. „Wir haben nichts geprobt“, sagt Gail Edmund-Faatz. Viel mehr sagt sie nicht. Sie möchte nicht reden, heute, an ihrem großen Tag. Sie ist froh, dass der ganze Stress der letzten Tage endlich vorbei ist. Und dass sich die Arbeit gelohnt hat. Gail, eine gebürtige „Trini“, ist die Frau hinter der „Caribbean Heatwave“. Sie organisiert die Auftritte beim Karneval. Viel wichtiger aber: Sie schneidert die ganzen Kostüme.

Bis zuletzt saß sie mit ein paar Helfern in ihrer Neuköllner Wohnung und nähte. Und wurde wie immer erst auf den letzten Drücker fertig. Jetzt führt Gail ihren Verein an. Sie ist die Queen der Formation, ihre Rückenflammen sind mit Abstand die größten. Nein, sagt sie, sie will heute nicht mehr reden. Nur noch tanzen.

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