Ahnung vom Krieg

„Lost Children“ (20.40 Uhr) und „Warkids“ (21.45 Uhr) – Arte zeigt beim Themenabend „Kindersoldaten“ Kriege, über die keiner mehr spricht

VON MICHAEL AUST

„Wir haben n-tv, N24, Phoenix, den ZDF-Dokukanal, CNN – und keine Ahnung“, schrieb der Schriftsteller Thomas Brussig, als der Film „Lost Children“ im November in die Kinos kam. Wovon wir keine Ahnung haben, das lassen wir nicht an uns ran. Dazu organisieren wir keine Mahnwachen, dagegen ziehen wir nicht in den Krieg.

Wovon viele in Deutschland immer noch keine Ahnung haben, ist der Bürgerkrieg in Nord-Uganda. Ein Konflikt, der seit 20 Jahren fast unbeachtet von der westlichen Fernsehöffentlichkeit geführt wird. An der Grenze zu Sudan kämpft die Lord’s Resistance Army (LRA) des fanatisch religiösen Warlords Joseph Kony gegen die ugandische Armee. Die LRA bezeichnet sich selbst als Rebellenarmee, überfällt ländliche Gebiete und raubt Kinder, die sie sich als Soldaten gefügig macht – nach Unicef-Angaben bisher über 25.000. Einigen gelingt nach ein paar Kriegsjahren die Flucht. Von diesen erzählt die mehrfach preisgekrönte Doku „Lost Children“, Höhepunkt des Arte-Themenabends „Kindersoldaten“.

Am Anfang sieht man auf einer Karte die Grenze von Uganda zum Sudan, dazu liefern Texte Fakten: „Über 200.000 Menschen vom Stamm der Achole wurden bisher getötet. Etwa 1,5 Millionen Menschen leben als Flüchtlinge im eigenen Land.“ Man sieht den 13-jährigen Kilama, einen „Veteran“ mit ausdruckslosen Augen: „Sie gaben uns Macheten und sagten: Geht und schneidet sie in kleine Stücke, so klein, dass auch die Fliegen sie tragen können. Also gingen wir los und zerhackten sie.“ Kilama ist eines von vier Kindern, die die beiden Regisseure Ali Samadi Ahadi und Oliver Stoltz mehrere Monate im Kriegsgebiet begleiteten. Die Filmemacher waren inkognito eingereist, heimlich filmten sie im Auffanglager von Pajule, wo sich Sozialarbeiter der Caritas um geflüchtete Kindersoldaten kümmern.

Es ist ein Kunstgriff von „Lost Children“, über das Grauen des Kinderkriegs nicht in Kriegsbildern zu erzählen. Die ruhige Caritas-Station, die hohen Stimmen, mit denen Jennifer, Kilama, Francis und Opio berichten, die freundlichen Blicke der Sozialarbeiter – all das kontrastiert kolossal mit den geschilderten Erlebnissen.

Der Film zeigt auch die schwierige Wiedereingliederung der ehemaligen Kindersoldaten. Etwa das Stammesritual, das Francis reinigen soll, und die Reaktion von Kilamas Großmutter, die ihren Enkel nicht wieder bei sich aufnehmen will: „Ich habe Angst vor Kilama.“ – Von den Kindern, die der Film begleitet, finden drei am Ende zurück in ein „normales“ Leben. Von einem, Opio, verliert sich die Spur. Vielleicht wurde er wieder von der LRA entführt.

Auch „Warkids – Eine Jugend in Palästina“, der zweite Film des Themenabends, erzählt von Jugendlichen im Krieg. Von einem Fußballteam in Palästina, dem immer ein Spieler fehlt, weil der entweder von israelischen Soldaten verhaftet oder den eigenen Milizen rekrutiert ist. Seit ihr Mittelstürmer Kifar mit 14 von israelischen Soldaten erschossen wurde, gewinnt die Mannschaft nur noch selten gegen gegnerische Teams.

Die Doku von Marc Wiese erzählt von einem Team, das weiterspielt, obwohl es auf seinen Spieler Mohammed verzichten muss, der „wie 1.000 andere Kinder und Jugendliche“ seit Jahren in israelischer Haft sitzt.

Nach Angaben der Vereinten Nationen gibt es weltweit rund 250.000 Kindersoldaten, obwohl der Einsatz von Kindern im Krieg völkerrechtlich verboten ist und vom Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrechen verfolgt wird. Bis heute gibt es keine Sanktionen gegen Länder, in denen Kinder und Jugendliche zum Kriegseinsatz gezwungen werden.