HAMBURGER SZENE VON AMADEUS ULRICH: Freundschaftsdienst
Wer den Hamburger Berg erklimmt, findet nur schwer wieder hinunter. Man kann im Vorfeld noch so bestimmt sagen: „Jo, bin dabei, aber nur bis zwei“, und findet sich ja doch bei Morgendämmerung irgendwo an irgendeiner Bushaltestelle liegend wieder. So wie ich an dem Freitag, um den es hier geht.
Klingt dramatisch. Ich liege dort aber nicht, weil ich zu viel getrunken habe, wie man annehmen könnte, sondern aus reiner Menschenliebe. Ein guter Freund von mir hat sich allerdings derart die Kante gegeben, dass ich mir vornahm, ihn nach Hause zu bringen – ein Vorhaben, das kläglich scheitern würde.
Aber der Reihe nach. Wir starten im Schanzenpark. Ich habe in einem Kiosk 20 Kaffeebecher für’n Euro besorgt. Wir trinken Billig-Whiskey mit Cola und streiten uns über Politik. Als die Argumente lächerlich werden, ziehen wir weiter. Mein Kumpel brüllt guttural St-Pauli-Hymnen. Hier stört das keinen, mancher singt sogar mit. Auf dem erwähnten Berg bleiben wir vor einem Kiosk stehen, bewegen uns nur für den Biernachschub. Oder um den Kumpel festzuhalten, weil der schunkelt wie eine Boje auf See.
Um sechs Uhr morgens machen wir uns auf zur S-Bahn. Mein Kumpel steigt aber in die falsche Bahn – in Richtung seiner Freundin. Ich kann es nicht fassen und steige ebenfalls ein. „Fahr heim“, sage ich. „Du bist dicht.“ Er müsse das jetzt aber tun, lallt er. Ich frage ihn, ob es seine Liebste denn schätze, wenn er, hackedicht, morgens um sieben vor ihrer Haustür steht und „FC St. Pauuuliii!“ grölt. Er nickt und er grinst. Ich, der Moralapostel, rede mir den Mund fusselig und fahre für nix und wieder nix in die Walachei – Groß Borstel.
Auf dem Rückweg werde ich müde. Ich muss aber umsteigen. Der Bus kommt erst in 20 Minuten. Also lege ich mich auf die Bank, den Kopf auf meine Tasche. Es wird allmählich hell, und es ist arschkalt. Verflucht seist du, Hamburger Berg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen