Aggressiv und provokant

FUSSBALL II Emre Can fällt in Leverkusen mit seiner Willenskraft auf. Eine Qualität, die gegen San Sebastián gefragt sein dürfte

LEVERKUSEN taz | Mixt man alte Klischees und Eindrücke aus der bisherigen Champions-League-Saison, stehen die Chancen für Bayer Leverkusen im entscheidenden Spiel am heutigen Abend bei Real San Sebastián nicht besonders gut. Im Hinspiel hatten die Leverkusener große Probleme mit dem ambitionierten Kombinationsfußball der Spanier, außerdem handelt es sich um ein wichtiges Duell mit einem großen Gegner, das Bayer unbedingt gewinnen muss, um das Achtelfinale der Champions League zu erreichen (derweil Schachtjor Donzek nicht in Manchester gewinnen darf). Und genau in diesen Spielen versagen die Rheinländer besonders gern, zuletzt war das beim 0:5 gegen Manchester United zu sehen.

Allerdings hat Bayer Leverkusen am Wochenende in Dortmund ein ziemlich beeindruckendes Gegenargument zu dieser alten Theorie in die Welt gesetzt. „Wir haben in den vergangenen Monaten häufig enge Spiele für uns entschieden“, ruft Kapitän Simon Rolfes in Erinnerung. Vielleicht hat das Team ungeachtet des Manchester-Debakels inzwischen ja wirklich eine etwas andere Mentalität.

Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass in Jahren, in denen die Leverkusener eher effizient als spektakulär spielten, immer mindestes einer dieser Spielertypen zum Stamm gehörte, für die der große Trainer Ottmar Hitzfeld einmal den Begriff „Aggressiv-Leader“ prägte. Leute wie Arturo Vidal oder im Vorjahr Daniel Carvajal, die gleichermaßen mit enormer Körper- und Willenskraft Widerstand leisten. Und in diese Rolle wächst gerade Emre Can hinein. In der Schlacht von Dortmund am vorigen Wochenende war das zu sehen, aber auch wenige Tage zuvor beim Pokalerfolg in Freiburg, als der 19-Jährige trotz Unterlegenheit mit viel Willen, großer Ruhe und Übersicht das 2:1-Siegtor schoss.

Im Gegensatz zu den vielen eher leisen Deutschtürken in der Bundesliga hat Can etwas Aggressives, manchmal vielleicht sogar Provokantes. Und genau das macht ihn so wertvoll für die Leverkusener. Zu Beginn geriet er unter den Verdacht, nicht die notwendige Demut mitzubringen. In einem Interview mit sport.de erwiderte er auf die Frage, ob es ihm schwerfalle, ständig auf anderen Positionen zum Einsatz zu kommen: „Nein, nicht wenn man es kann.“ Außerdem sagt er Sätze wie: „Ich fühle mich nicht als Youngster.“ Oder: „Natürlich will man als Fußballer auch mal etwas in den Händen halten.“

Solch offensive Aussagen sind ungewöhnlich für einen Spieler, der mit der bescheidenen Erfahrung von gerade einmal vier Bundesligaspielen in Leverkusen anheuerte. 6 Millionen Euro überwies Bayer zum FC Bayern München, wo Can ausgebildet wurde. Für so einen Typen so viel Geld zu bezahlen, hielten einige für riskant, zumal es eine Rückkaufklausel geben soll. Aber Can hat die Zweifel beseitigt.

Im Mittelfeld hat er überall gespielt, derzeit wird er als Linksverteidiger gebraucht, „er hat gezeigt, dass er alles hat, was du auf vielen Positionen brauchst“, meint Trainer Sami Hyypiä. „Mit dem Ball ist er unglaublich, seine Technik, alles ist da. Und er ist klug genug, das zu lernen.“ Steffen Freund, unter dem Can als Kapitän der U17 in Mexiko WM-Dritter wurde, hat gar einst gesagt: „Emre ist der kompletteste Spieler, den ich in meiner Karriere je gesehen habe.“

Cans Vielseitigkeit ist natürlich eine enorme Stärke, die ihn auch interessant für die türkische Nationalmannschaft macht. Zwar hat Can seit der U15 in allen DFB-Nachwuchsteams gespielt, aber noch wäre es möglich, türkischer Nationalspieler zu werden. „Ich spiele sehr gerne für Deutschland“, sagt er, aber ein Hintertürchen bleibt offen, so lange er kein Pflichtspiel für Deutschlands A-Nationalmannschaft gemacht hat. Gerade als Linksverteidiger hat er vielleicht Chancen beim DFB, denn das Angebot an Spielern für diese Position hält Joachim Löw bekanntermaßen für durchaus verbesserungswürdig. DANIEL THEWELEIT