„NRW hat das Zentralabitur diskreditiert“

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes kritisiert die schnelle Einführung des Zentralabiturs in NRW

taz: Bei den Probeläufen zum Zentralabitur sollen Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen nicht gut abgeschnitten haben. Sind sie dümmer als zum Beispiel die Altersgenossen in Bayern?

Josef Kraus: Nein, die nordrhein-westfälischen Schüler sind nicht dümmer, sie sind nur auf das Zentralabitur nicht so gut vorbereitet. Bei der Einführung des Zentralabiturs müssen erst einmal die Lehrpläne umgestellt werden und dann kann ich das mit einer dreijährigen Durchlaufphase behutsam einführen. Fakt ist, dass es in Nordrhein-Westfalen bisher keine gemeinsamen Rahmenlehrpläne gab, also keine Verbindung zwischen den Lehrplänen da war. Wenn ich das Zentralabitur wie in NRW innerhalb eines Jahres einführe, rächt sich das.

Das war also ein Schnellschuss.

So ist das. Anders ist die Einführung des Zentralabiturs zum Beispiel in Niedersachsen verlaufen: Dort hat die Landesregierung vor zwei Jahren die Umstellung beschlossen, fängt aber erst im kommenden Jahr damit an – zeitgleich mit NRW.

Warum ist NRW einen eigenen Weg gegangen?

Manchmal ist das in der Politik so, dass ein gewisser Aktionismus den Ton angibt, weil man sich davon schnelle Erfolge verspricht. Aber das Beispiel zeigt wieder, dass auch in der Politik ein bisschen mehr Nachdenken angebracht ist. Mit solch einem Schnellschuss ist der Idee des Zentralabiturs absolut nicht gedient. Wenn es ungeschickt eingeführt wird, leidet sein Ruf darunter.

Sie sind ein Verfechter des Zentralabiturs?

Es hat eine Menge Vorteile: Es ist gerechter, weil alle Schüler gleich behandelt werden. Außerdem setzt es einen breiteren Wissensfundus voraus und bringt auch für den bundesweiten Vergleich mehr Transparenz. Das Zentralabitur hat zudem einen entscheidenden psychologischen Vorteil: Es schweißt Schüler und Lehrer zusammen, denn beide wissen nicht, welche Prüfungsaufgaben drankommen.

Einige Lehrer haben auch die Form der Aufgaben kritisiert. So sollen Mathematikaufgaben zu textlastig gewesen sein. Ist das auch typisch für das Zentralabitur?

Nein. Entscheidend ist hier, dass die Schüler wohl bisher diese Aufgabentypen nicht kannten und deshalb plädiere ich noch einmal für eine längere Durchlaufzeit. Die Schüler müssen Zeit haben, sich an die neuen Aufgabentypen zu gewöhnen. Für die richtigen Prüfungen ist ja jetzt auch noch ein Jahr Zeit. Vielleicht waren die schlechten Ergebnisse bei den Probeklausuren auch ein heilsamer Schock. Doch auch die Testläufe kamen ein bisschen zu früh. Ich habe den Eindruck, dass das Zentralabitur damit diskreditiert wurde.

INTERVIEW: NATALIE WIESMANN