Anstößiger Fremdkörper

Ist er zu wuchtig, ohne Identität, mit der Anmutung eines Autohauses – oder aber funktional und städtebaulich genial? Experten streiten heftig über den Entwurf für den Hamburger Domplatz

Von Gernot Knödler

Der geplante Glasbau auf dem Domplatz ist unter Experten höchst umstritten. Wie eine Anhörung der Bürgerschaft gestern Abend gezeigt hat, gibt es weder Einigkeit darüber, wie markant ein Bauwerk an diesem Ort sein dürfe, noch wie es genutzt werden sollte oder gar darüber, wie der vorliegende Entwurf ästhetisch zu bewerten ist.

Eine 17-köpfige Jury hatte sich im vorigen Dezember für den Entwurf der Münchener Architekten Auer und Weber entschieden. Diese schlugen vor, auf dem heutigen Parkplatz neben der Petri-Kirche ein Glasgebäude mit hohen auskragenden Wänden zu bauen. Es soll eine neu konzipierte Zentralbibliothek beherbergen, Säle und Büros für die Bürgerschaft, etwas Gastronomie, ein paar Läden, sowie ein kleines Schaufenster der Archäologie auf wenigen hundert der insgesamt 33.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche. In dieser Summe ist ein separates schmales Wohnhaus am Südrand des heutigen Platzes enthalten.

Mit Ausnahme von Oberbaudirektor Jörn Walter, der hier nicht als Vertreter des Senats sprach, bewerteten alle Experten die geplante Geschossfläche als zumindest überdenkenswert, weil zu groß. Mehr als 20.000 Quadratmeter seien nicht zu verantworten, fand der ehemalige Oberbaudirektor Egbert Kossak. Außerdem dürfe das Gebäude nicht so hoch werden, dass die Wirkung der Petri-Kirche geschmälert werde. Der Vorschlag von Auer und Weber schädige das Stadtbild. Im Übrigen passe er nicht zu Hamburg.

Kossak und der Architekt Jürgen Böge kritisierten die Vorgabe, Wohnungen auf dem Platz zu bauen. Sie erschwere eine gute Lösung. Der Kunsthistoriker Hermann Hipp wies dagegen darauf hin, dass es an diesem Ort zuzeiten, als der Dom stand, 60 Wohnhäuser gegeben habe.

Hipp und Böge bezweifelten, dass dem Domplatz die unterstellte große Bedeutung zukomme. „Es ist absolut nicht so, dass hier etwas Bedeutendes war“, sagte Hipp. „Es war 500 Jahre lang Ausland.“ Der Dom und seine direkte Umgebung gehörten der Kirche und waren exterritorial. Nach dessen Abriss vor 200 Jahren lag der Platz mehr als drei Jahrzehnte brach.

Oberbaudirektor Jörn Walter sprach dagegen von der Würde des Ortes, an dem Hamburg vermutlich entstand, und dass es gelte, eine Beziehung zwischen der Hafencity und dem Jungfernstieg herzustellen. Eine öffentliche Bibliothek mit mehr als einer Million Besuchern im Jahr wäre dafür geeignet. Ziel der Domplatzbebauung sei es doch, die alte Innenstadt gegenüber der Hafencity konkurrenzfähig zu machen, bemerkte Architekturkritiker Hanno Rauterberg. Als Konkurrenz zur Elbphilharmonie sei der Entwurf aber zu schlecht. Die Stadt müsse sich für eine Nutzung entscheiden, um dem Ort eine Identität zu geben, fand Kossak.

Städtebaulich sei der Entwurf geradezu genial, lobte Hans Günther Burkhardt von der Schumacher-Gesellschaft. Der Glasbau runde das Backstein-Quartier der Umgebung ab. Dadurch dass er auskrage, nehme er auf Traufhöhe die alte Straßenführung vor dem Bau der Domstraße auf, ohne diese tatsächlich zu bebauen, sagte Walter. Hipp dagegen nannte den Glasdiamanten einen „anstößigen“ Fremdkörper, der nur professionell, aber eben nicht genial sei.